„WIe werden wir reagieren, wenn der Wolf wieder kommt?“
von Hans Slama
Wolfsjagd mit Netzen. (Repro: Slama)
Odenwald/Bauland. Vor 150 Jahren, auf dem Höhepunkt einer Entwicklung angekommen, versetzten Wölfe den Odenwald und das Bauland in Angst und Schrecken.
Der Buchener Anzeiger meldet am 4. November 1865: „Der Wolf, der Wolf“! – das ist der Schreckensruf, der immer und immer wieder durch den Odenwald thönt ……… „Der Wolf“! schreien die Kinder und laufen blitzschnell nach Hause ……. „der Wolf, der Wolf“! schreien die Schäfer …..die Leiningenschen Forstbeamten in verdrießlichem Thon; „der Wolf“! sprechen mit Kriegsmuth die Jäger, machen grimmige Gesichter…..“.
Neben den Schäfern fürchtete auch der Fürst von Leiningen um seinen Wildbestand und in den Spinnstuben, Gasthäusern und auf den Märkten hatte man Gesprächsstoff genug. Die einheimische Presse, welche gerade einmal 15 Jahre nach der Agrarrevolution von 1848/49 noch in den Anfängen steckte, widmete diesem Ereignis große Aufmerksamkeit. Aber wie kam es dazu, dass der Stammvater unserer Haushunde, der heute als ungefährlich eingestuft wird, in so schlechten Ruf gekommen ist?
Der Wolf spielt in der abendländischen Kultur eine herausragende Rolle. Denken wir an Romulus und Remus als Wahrzeichen Roms oder an die germanische Mythologie, dass der reißende Dämon durch sein Geheul das Weltenende ankündigte. In der christlichen Symbolik ist der Wolf vor allem der böse Feind, der falsche Prophet und Irrlehrer, der Hirt und Herde bedroht, besonders wenn er sich listig im Schafsfell verbirgt. All dies war den Menschen vor 150 Jahren, die noch mit Schafen und mit diesen Überlieferungen noch viel bewusster. In Sagen, Märchen Flurnamen und im Glauben an den Werwolf hat sich dies bis heute erhalten.
Während des 30-jährigen Krieges hatten sich die Wildbestände stark vermehrt und damit auch der Wolf. Das Kurfürstentum Mainz propagierte schon 1625 mit Abschuss- und Fangprämien die Ausrottung des „Unthieres“. Trotzdem wurde er in den großen Waldgebieten von Odenwald und Spessart bis 1750 wieder heimisch. Als staatspolitisches Ziel war ihm, als letztem verbliebenem Raubwild und als Reichsfeind der Krieg erklärt worden. Wölfe wurden wie menschliche Verbrecher behandelt: angeklagt, verurteilt und am Galgen hingerichtet. Dies geschah oft mit großer Beteiligung der Bevölkerung. Streifwölfe tauchten Anfang des 19. Jh. in vielen Regionen auf. Aber nachdem 1845/46 Wölfe, ohne dass man ihnen habhaft wurde, Menschen und Presse im Raum Böblingen in Aufregung versetzt hatten, hielt im Frühjahr 1864 ein beunruhigendes Gerücht die Menschen unserer Region in Atem: Der vermutlich aus einer Menagerie entkommene „Tiger von Miltenberg“. Trotzmehrfacher Beobachtung, auch im Badischen und Hessischen konnte man der „Bestie“, die Schafe riss und sogar einen Schäfer tödlich verwundet haben sollte, nicht habhaft werden und auch nicht als Wolf ansprechen. „Die ganze Gegend war so in Furcht gesetzt, dass die Behörden von Baden, Bayern und Hessen es für notwendig erachteten, bei nächtlichen Gängen durch die Waldungen Vorsicht zu empfehlen und Frauenspersonen solche ganz abzuraten“. Man empfahl „ein großangelegtes Treibjagen“. Diesem Rat der Presse folgte man.
In Rippberg begann man ein solches „recht beschwerliches“ nachts um ein Uhr mit 2000! Beteiligten und „verschiedenartigst bewaffnet“. Die letzten trafen gegen vier Uhr am Mittag wieder in Rippberg ein. Alle waren hungrig und durstig und im Gasthaus „Zu den drei Meerfräulein“ waren bald alle Vorräte aufgebraucht. Über den großen Misserfolg tröstete man sich in der Hoffnung das Tier wenigstens vertrieben zu haben. Auch nach den „zuverlässigsten Nachrichten“ über das wirkliche Vorhandensein eines Leoparden“ hatte das zweite „hatte das zweite großartige Treiben eben so viel Erfolg, wie das erste, d. h. keinen.“ Natürlich zog das großflächigen Hohn und Spott nach sich, z. B. in Würzburg und von der satirischen „Frankfurter Krebbel-Zeitung“ und dem politisch-satirischen Witzblatt „Frankfurter Latern“. Der Leopard wandelt sich zum Panther oder Hyäne und man hielt „Tigerjagden“ ab, ergebnislos.
Das Bezirksamt Walldürn gab zur Beruhigung bekannt, dass „das fragliche Thier zweifellos durch die täglich aufgestellten Jagden auf dasselbe aus hiesiger Gegend vertrieben worden sei“. Angeheizt wurde dies jedoch durch eine Meldung, dass bei der Gamburg „Fuhrleute von einem Thier angefallen wurden“. Es trat Ruhe ein. Aber im Winter 1864/65 kamen die „Übelthäter“ zurück und rissen wiederholt Schafe. Endlich konnte das „Unbekannte Thier“ als Wolf identifiziert werden. Ab Frühjahr 1865 reißen die Meldungen vom Wolf, es waren von Anfang an mehrere, in den örtlichen Nachrichten nicht mehr ab und er machte kontinuierlich zwölf Monate lang von sich reden. Nach vielen Misserfolgen bei der Jagd auf ihn, nach Verlassen des Mutes eines Jägers oder Versagen der Flinte vor Schreck, dem Aufruf im „Odenwälder Bote“ vom 10. Nov. 1865 mit entsprechenden Ratschlägen versehen: „An sämmtliche Jagdpächter des Odenwaldes“ mit dem Hinweis, dass „der Wolf bereits seit beinahe einem Jahr in unserer Gegend haust ohne dass es je gelungen wäre denselben einmal vor den Schuß zu bringen“.
Jetzt meldete er sich selbst in der Presse. Die Antwort lautete in der darauffolgenden Ausgabe am 15. November: „An den Jagdliebhaber, der mich gerne erlegen möchte“. „Du willst also in diesem Winter mir auf den Pelz steigen und meinst, ich laufe Dir beim Schnee im Wald herum, damit Du an einem schönen Tag nur nach mir greifen kannst. Ich stehe mit den Jagdpächtern im Odenwald auf ganz gutem Fuß, die mir nicht so leicht etwas zu leid thun, was sie schon oft bewiesen haben. Tagtäglich begegne ich einem oder dem anderen Jäger, aber entweder wollen sie mich nicht sehen oder können sie meinen Anblick nicht ertragen. ………Erst kürzlich lief ich einem Jäger auf drei Schritte entgegen; ich erschrak wirklich etwas, aber als ich seine gutmüthige Miene sah, hatte ich keine Furcht mehr und trodelte ruhig weiter. Man nimmt mir übel, daß ich auch Schaafe zerreiße, und ich bin doch so bescheiden, daß ich nur an herrenlose Schaafe gehe, denn noch nie traf ich einen Schäfer bei seiner Heerde, auch gehe ich gar nicht hin, wenn ich einen Schäfer widdere, denn ich kann die Wilderei nicht leiden.
Ja Jagdliebhaber! Deine Aufhetzung der Jäger gegen mich hilft Dir nichts, wenn auch wieder einmal eine große Jagd auf mich gehalten sollte werden. Ich habe nur meine Unterhaltung dabei, an den ergötzlichen Aufzügen und dem lustigen Treiben, es erinnert mich nur lebhaft an das Jahr 1848 in der Rheinpfalz drüben, wo ich mich bei Verwandten aufhielt und dergleichen öfters sah.
Mit Deiner Ladgeschichte ist auch nicht viel, denn Nr. 0 (Schrotgröße) thun mir nicht viel, ich habe schon mehrere derartige Dinger auf dem Pelz und die ich nicht groß ästimire.
Mit Kugeln ist es auch nicht viel zu machen, denn ich kann springen und wenn die Kugeln gar aus der neumodischen Flinte geschossen werden, sind sie gar nicht zu fürchten, was man diesen Sommer im Prinz Carl in Mosbach öfters gesehen hat. Nun adieu, guter Freund, auf Wiedersehen beim ersten Schnee, gebe aber Acht, daß Du nicht auf falsche Fährte geräthst“. „Der Wolf“.
In der Folgezeit gab es weiterhin Schafsrisse, erfolglose Jagden, nachlässige und ungehorsame Treiber, sadistische Rezepte zum Anlocken des Wolfes, Belohnungen wurden ausgesetzt, das Gewehrtragen ohne Waffenschein wurde erlaubt, der Verleger des neuernannten Amtsblattes in Buchen verweigerte die Aufnahme eines Leserbriefes der „Odenwälder Wölfin“ und so fort.
Endlich kam Entwarnung: „Der Wolf ist tot!, erlegt bei einer turbulenten Treibjagd am 12. März 1866 bei Eberbach. Dort kann man ihn im Museum bewundern und man hat ihm einen „Wolfweg“ gewidmet. In Schneeberg an den „Wolfstannen“ soll er ein Kind aus dem Kinderwagen gestohlen haben und der letzte „große“ Wilderer der Gegend der in Ohrnbach geborene und in Reinhardsachsen lebende „Karrefranz“ soll sich mit Wolfsaugen unsichtbar gemacht haben.
Das sind die letzten Erinnerungen an ihn. Woher die Wölfe kamen und wohin die übrigen gezogen sind weiß man nicht. Wenn er wieder kommt – wie werden wir reagieren?