Ukrainische Jugendliche verbinden künstlerisch Vergangenheit und Gegenwart
Mosbach. Am Mittwoch fand in der KZ-Gedenkstätte Neckarelz ein besonderes Projekt statt. Kinder und Jugendliche aus der Ukraine folgten bei einem Besuch der Gedenkstätte den Spuren des ehemaligen ukrainischen Häftlings Alexander Wladimirowitsch Rudenko. Anschließend hatten sie die Möglichkeit, unter der Anleitung des Künstlerpaares Bali Tollak und Wolfgang Dennig das Gehörte auf kreative Weise zu verarbeiten und mit ihrem eigenen Leben zu verbinden.
Alexander Wladimirowitsch Rudenko kam mit knapp 19 Jahren im Mai 1944 aus dem KZ Sachsenhausen ins KZ-Außenlager Neckarelz Schule. Er musste in der unterirdischen Flugzeugmotorenfabrik „Goldfisch“ Zwangsarbeit leisten – bis ihm eines Tages bei einem Arbeitsunfall ein Bein durch ein schweres Eisenteil zerschmettert wurde. Ein französischer Chirurg, selbst ebenfalls KZ-Häftling, amputierte dieses Bein in einer Notoperation in der Schule in Neckarelz. Rudenko überlebte, wurde im April 1945 bei Osterburken befreit und kehrte in seine Heimat zurück.
55 Jahre später, im Jahr 1999, besuchte er erstmals wieder den Ort seiner Leiden – bei dieser Gelegenheit lernten ihn die Ehrenamtlichen der damals neu entstandenen KZ-Gedenkstätte kennen. Da Alexander Rudenko als Versöhnungszeichen ein wenig Erde aus der Ukraine mitgebracht hatte, entstand die Idee, im Schulhof in Neckarelz, also dem ehemaligen Appellplatz des Lagers, einen Baum zu pflanzen. Der Ahorn wurde Alexander Rudenko stellvertretend für alle Häftlinge gewidmet; er hat inzwischen eine stattliche Größe erreicht.
Diese Geschichte erzählte Gedenkstättenleiterin Dorothee Roos anhand von zahlreichen Bildern den jungen Leuten aus der Ukraine, die vom Verein „Kinderhilfe Ukraine – Rhein-Neckar hilft Novograd-Volynskij e.V.“ zu einem Sommercamp nach Neckarzimmern eingeladen worden waren. Für sie sind die Geschichten von Krieg, Verwundung und Gefangenschaft sehr nahe, denn ihre Stadt Novograd-Volynskij liegt zwar in der Westukraine, doch wegen der starken militärischen Prägung des Ortes haben praktisch alle Kinder Verwandte im Kriegseinsatz an der Front im Osten, oft kämpfen dort die eigenen Väter.
Um nicht durch die gehörte Geschichte neue Traumata zu schaffen, sondern im Gegenteil eine ungewöhnliche Möglichkeit der Verarbeitung anzubieten, kam nun das Kunstprojekt der „Seelenbretter“ ins Spiel. Die Künstler Bali Tollak und Wolfgang Dennig stießen vor einigen Jahren in Bayern auf den alten Brauch, der Verstorbenen mittels bemalter sogenannter „Seelenbretter“ zu gedenken. Sie haben diese Form weiterentwickelt und geöffnet; in Workshops regen sie Jugendliche und Erwachsene dazu an, sich auf schmalen Holzbrettern die eigenen Sorgen, Wünsche, Hoffnungen und Sehnsüchte in symbolischer Form von der Seele zu malen.
Nach einer kurzen Einführung durch die Künstler machten sich die Jugendlichen sofort ans Werk, und innerhalb kurzer Zeit entstanden auf den schlichten Tannenbrettern erstaunliche und höchst individuelle kleine Kunstwerke, in denen tatsächlich viel „Seele“ zu finden ist; die Hoffnung auf Frieden steht meist an erster Stelle.
Die Bretter sind derzeit in der KZ-Gedenkstätte Neckarelz (Mosbacher Straße 39) nebst kleinen Erläuterungen ausgestellt und können zu den Öffnungszeiten (jeden Sonntag 14 – 17 Uhr) besichtigt werden. Später sollen sie dann in die Ukraine reisen.
Vor dem „Alexanderbaum“ im Schulhof der Grundschule zeigen die jungen KünstlerInnen ihre leuchtenden „Seelenbretter“n (Foto: privat)