
Peter Kolbe kam auf Einladung des NABU Waldbrunn an den Katzenbuckel. (Foto: pm)
Ein denkwürdiger Abend zum Thema Klimawandel
Waldbrunn. (es) Über 40 Teilnehmer folgten der Einladung des NABU Waldbrunn zur Veranstaltung „Schlaraffenland oder Paradies – Wissenschaftliche Fakten zu Klimawandel, planetaren Grenzen und menschlichem Handeln“ in den Sockenbacher Hof. Referent Peter Kolbe ging es in seinem Vortrag jedoch weniger um technische Lösungen gegen den Klimawandel, als vielmehr um unseren gesellschaftlichen und persönlichen Umgang mit der Krise sowie um die zugrunde liegenden Werte.
Ein erfahrener Referent
Peter Kolbe, Energieberater, Klimaschützer und Vorsitzender der Klimaschutzplus-Stiftung, setzt sich seit vielen Jahren für die Energiewende ein. Zu Beginn nannte er die Ziele seines Vortrags: die Ausgangslage verstehen, Ursachen erkennen sowie vielfältige Lösungen anerkennen und umsetzen.
Wichtig sei die Unterscheidung zwischen Meinungen, Fakten und wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen. Kolbe erinnerte dabei an Galileo Galilei, der durch wissenschaftliche Beweise alte Weltbilder erschütterte und dafür verfolgt wurde. Die heutigen sogenannten Klimaskeptiker lehnten, so Kolbe, wissenschaftliche Fakten ab und stünden damit eher in der Tradition von Galileis Gegnern als in seiner.
Der Ernst der Lage
Die globale Durchschnittstemperatur steigt seit 1900 zunehmend schneller. Die Folgen sind mehr Waldbrände, Hochwasser, Dürren. Laut Klimareport befindet sich die Menschheit aktuell auf einem Pfad, der eine Erwärmung um 2,7 bis 3 Grad Celsius bis Ende des Jahrhunderts erwarten lässt. Bis 2050 könnten dadurch bis zu zehn Prozent der Erdoberfläche unbewohnbar werden – mit potenziell einer Milliarde Klimaflüchtlingen.
Die sogenannten planetaren Grenzen, also die Belastbarkeitsgrenzen des Ökosystems, seien bereits überschritten, ließ Kolbe das Publikum wissen. Besonders betroffen sei die Biosphäre. Die Landnutzung und der Einsatz neuartiger chemischer Substanzen überforderten sie massiv. Kolbe plädierte dafür, das Schlaraffenland für Wenige in ein Paradies für Alle zu verwandeln.
Warnzeichen und Kipppunkte
Die Widerstandsfähigkeit der Erde sei stark beeinträchtigt, betonte der Experte. So sei die Vogelpopulation bereits um 25 Prozent zurückgegangen, die der Insekten sogar um 75 Prozent. Große Fischarten haben 90 Prozent ihres Bestands verloren, die Wälder 40 Prozent. Die weltweit angesammelte Plastikmenge wiegt inzwischen rund acht Milliarden Tonnen – mehr als doppelt so viel wie alle Säugetiere, inklusive Menschen, zusammen.
Die oft zitierte 1,5-Grad-Grenze sei kein politisches Ziel, sondern eine physikalische Grenze. Ihre Überschreitung würde katastrophale Folgen nach sich ziehen. Kolbe kritisierte, dass viele Politiker auf Technologien setzen, um Kohlendioxid später wieder aus der Atmosphäre zu entfernen – ein Ansatz, der nicht funktioniere, weil natürliche Senken wie Wälder und Meere schwinden und technische Lösungen zu teuer und zu unsicher seien.
Konkrete Ziele und Herausforderungen
Die Staatengemeinschaft habe sich im Rahmen der Klimakonferenzen verpflichtet, gefährlichen Klimawandel zu vermeiden. Dafür sei eine weltweite CO₂-Reduktion um drei bis vier Gigatonnen bis 2025, eine Halbierung der globalen Emissionen bis 2030 und einen Verkaufsstopp für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren bis spätestens 2035 erforderlich. Notwendig sei auch ein tiefgreifender Umbau der Landwirtschaft, die aktuell rund 18,4 Prozent der Emissionen verursacht, sowie ein deutlicher Anstieg des CO₂-Preises.
Unser Handeln dürfe nicht länger von überholten Rahmenbedingungen oder Weltbildern bestimmt sein, die nicht im Einklang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen stehen.
Ein Blick in die Geschichte des Konsums
Kolbe zeichnete auch historische Linien. Bereits 1921 wurde in einem Gutachten für US-Präsident Theodore Roosevelt darauf hingewiesen, dass Werbung nahezu unersättliche Bedürfnisse wecke, wodurch die Produktion immer weiter angekurbelt werde. Dieses Konsumverhalten habe sich seitdem weltweit verstärkt – mit massiven ökologischen Folgen. Die zentrale Frage sei daher, wann es ist genug sei.
Das Konzept der Suffizienz – Genügsamkeit im Sinne eines erfüllten Lebens mit weniger Ressourcenverbrauch – stehe im Gegensatz zur konsumorientierten Gesellschaft. Gemeinwohl müsse Vorrang vor der Gier des Einzelnen haben.
Mehr als nur Klimaschutz
Letztlich gehe es, so Peter Kolbe, um weit mehr als das Klima. Darüber hinaus gehe es um Gesundheit, Natur, das Wohlergehen unserer Kinder, soziale und gesellschaftliche Gerechtigkeit, sichere Lebensgrundlagen, Arbeitsplätze und Demokratie. UNO-Generalsekretär António Guterres habe es drastisch formuliert: „Das Zeitfenster zum Handeln schließt sich. Entweder wir handeln jetzt oder wir begehen kollektiven Suizid. Die Entscheidung liegt bei uns.“
Zwischen Resignation und Hoffnung
In der Diskussion wurden auch skeptische Stimmen gehört. Diesen setzte der Referent positive Beispiele entgegen. So sei etwa die großflächige Meerwasser-Wärmepumpe in Esbjerg (Dänemark), der Ausbau erneuerbarer Energien in China und Europa sowie privates Engagement in vielen Ländern Projekte, die zeigen, dass Resignation nicht angebracht sei. Denn jede Handlung gestalte die Zukunft mit. Wie nach einer Trauerphase könne man aus der Erkenntnis heraus wieder aktiv werden.
Der Mensch im Zentrum des Wandels
Ein grundlegendes Problem sei, dass viele Menschen den Klimawandel (noch) nicht als existenzielle Bedrohung wahrnehmen. Solange das so sei, könnten auch von der Politik keine echten Antworten erwarten. Kolbe empfahl in diesem Zusammenhang das Buch Wie Gefühle Politik machen von Prof. Dr. Maren Urner.
Außerdem zitierte Peter Kolbe den Wissenschaftler Otto Scharmer: „Der entscheidende Moment, ob ein Veränderungsprozess erfolgreich verlaufen wird, ist der innere Ort, von dem aus die Menschen handeln.“ Die entscheidende Frage laute: Wer will ich im Jahr 2050 gewesen sein – ein Gestalter oder ein Bremser?
Perspektiven und Ausblick
Peter Kolbe ermutigte das Publikum dazu, in Gespräche einzutreten: Was kann mein Teil am großen Ganzen sein? Welche Fähigkeiten kann ich einbringen? Er verwies auf das Kommunikationsprojekt theweek.ooo, das Menschen zu genau diesen Fragen zusammenbringt.
Ein Zuhörer schlug vor, in Waldbrunn einen Klimastammtisch zu gründen und sich in Bürgerenergiegesellschaften zu engagieren – ein Vorschlag, den Kolbe ausdrücklich begrüßte. Er wünschte allen weiteren Aktivitäten Mut, Kreativität und eine positive Einstellung zum Klimaschutz.