(Grafik: HAIGE)
In Zusammenarbeit mit der in Steinbach lebende Autorin Nele Tabler veröffentlicht NOKZEIT die Kolumne “Karnele”. Darin widmet sich die Autorin, die durch ihren Karnele – “Blog über Lesben und lesbisches Leben, Feminismus und Alltagswahnsinn” bundesweit bekannt geworden ist, künftig dem “normalen Alltagswahnsinn” im Odenwald und darüber hinaus. Passend zum Wahnsinn, wird es keine Regelmäßigkeit und thematisch keine Vorgaben bzw. geben.
In ihrem neusten Beitrag auf NOKZEIT beschäftigt sich Nele Tabler mit Ungereimtheiten und Fragen zur Arbeitsweise der Polizei bei der Fahndung nach dem Täter, der vor zehn Monaten Sabine Jauch in getötet hat und am Montag festgenommen worden sein soll (NZ berichtete).
Als Kind habe ich Enid Blytons „Fünf Freunde“ verschlungen und als Jugendliche sämtliche Bücher von Agatha Christie gelesen. Später war ich von den Fällen des schwedischen Paares Sjöwall und Wahlöö fasziniert und schließlich wurde mein erster eigner Krimi veröffentlicht. Kein Wunder also, dass die Berichterstattung über den Mord an Sabine Jauch aus Krumbach von Anfang an bei mir auf großes Interesse stieß. Ein Frauenmörder in unserer ländlichen Gegend? Solche Sachen passierten doch sonst nur in Großstädten oder Regionalkrimis, aber doch nicht in der Realität und schon gar nicht beinah vor der eigenen Haustür.
Eigentlich dachte ich ja, über polizeiliche Ermittlungsarbeit das eine oder andere zu wissen. Nicht umsonst habe ich in den letzten Jahren Fachliteratur gewälzt und verschiedene Seminare und Workshops besucht. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb habe ich bis heute nicht verstanden, weshalb man so lange von einem Raubmord ausgegangen ist. Warum war das Geld nicht früher gefunden worden? Auch in einem Forum für Krimiautor_innen konnte niemand dafür eine logische Erklärung finden. Einhellig war man dort der Meinung, noch nie davon gehört zu haben, dass die Spurensicherung wochenlang denTatort absperre und damit eine gründliche Durchsuchung der Wohnung des Opfers verhindere.
Die Art und Weise, wie man nach der Tatwaffe suchte, sowie die Geheimniskrämerei, die darum gemacht wurde, hat mich ebenfalls irritiert. In der Presse erschienen Fotos, auf denen zu sehen war, wie Polizisten weite Strecken zu Fuß abliefen und Polizeitaucher durch die Elz wateten. Währenddessen hätten Spaziergänger_innen, Jogger_innen oder vielleicht sogar ich selbst bei meinen Wanderungen mit den Hunden durch Wald und Wiesen über jenen Kranich stolpern können, ohne zu ahnen, um was es sich dabei handelt. Klar, wahrscheinlich wollte die Polizei aus ermittlungstaktischen Gründen, wie das immer so schön heißt, gewisse Information nicht zu früh an die Öffentlichkeit kommen lassen. Wenigstens hatte ich mir diese Erklärung zurechtgelegt …
… bis eine Verwandte, die in einem Nachbardorf von Krumbach wohnt, im Frühjahr auf ihrem Handy einen Anruf erhielt. Eine Polizistin aus Mosbach wollte eigentlich ihren Sohn Niklas[1] sprechen, weil bei der Funkzellenauswertung im Rahmen der Mordermittlung eben diese Handynummer aufgetaucht sei.
Tatsächlich hatte das bewusste Handy einmal Niklas gehört. Bis er sich vor ungefähr zehn Jahren (!!) ein Moderneres zulegte und das Alte incl. der Rufnummer seiner Mutter überließ. „Seitdem hat mein Sohn nicht mehr damit telefoniert“, erklärte die Verwandte. „Und ich kann ihn auch nicht ans Telefon holen, denn er lebt in Hamburg.“ Sie begriff überhaupt nicht, was ihr Handy mit dem Mord an Sabine Jauch zu tun haben sollte. Außerdem hegte sie Zweifel, ob sie tatsächlich mit einer Polizistin sprach, und weigerte sie sich deshalb auch, die aktuelle Adresse und Telefonnummer von Niklas einfach so weiterzugeben. „Wir machen das andersrum. Mein Sohn wird Sie anrufen.“
Ob sie denn wisse, wo Niklas am 23. Dezember 2011 gewesen sei, wurde sie noch gefragt. „In Hamburg. Er hat gearbeitet.“ Ob dann vielleicht ihr Mann das Handy benutzt haben könnte? „Mein Mann telefoniert nie mit meinem Handy. Er würde wahrscheinlich noch nicht einmal den Knopf zum Anschalten finden!“
Später stellte sich heraus, dass in den Dörfern rund um Krumbach noch mehr Menschen solche und ähnliche Anrufe von der Mosbacher Polizei erhalten haben. Bei einer anderen mir bekannten Familie gehörte das Handy ebenfalls nicht mehr dem ursprünglichen Besitzer, sondern war vor längerer Zeit vom Bruder an die Schwester weitergegeben worden. In diesem Fall erteilte man jedoch ohne Zögern der unbekannten Person am Telefon sämtliche Auskünfte, die sie haben wollte. „Wenn man nichts zu verbergen hat, kann man das ruhig machen“, hieß es voller Vertrauen darauf, wenn jemand behauptet, er sei von der Polizei, dann müsse das auch so sein.
Unterdessen versuchte Niklas, von Hamburg aus sich bei der Mosbacher Polizei zu melden. Doch es dauerte drei Tage, bis er endlich einen zuständigen Menschen erreichte. Ja, das Handy gehöre ihm schon lange nicht mehr und der 23. Dezember sei für ihn ein ganz normaler Arbeitstag in Hamburg gewesen. „Dann sen sie wohl raus aus derre Sach“, lautete die Antwort und hörte sich beinah so an, als sei man enttäuscht, immer noch nicht mit dem Mörder telefoniert zu haben.
Für Niklas schien die Sache erledigt zu sein, doch im Mai sollte er sich erneut bei der Polizei melden. Wegen eines Fehlers in der Anschrift hatte die briefliche Aufforderung vom Odenwald bis nach Hamburg eine ganze Woche gebraucht. Aus ss war ff geworden und eine Bekannte meinte: „Wahrscheinlich hat die zuständige Beamtin ihre Notizen in Sütterlin gemacht, ist doch klar, dass die anderen das dann nicht entziffern können“
Der Brief war an einem Dienstag angekommen und gleich am nächsten Tag rief er morgens um 8 Uhr zum ersten Mal in Mosbach an. Das Büro sei von 7 – 17 Uhr besetzt, hatte es geheißen, doch erst am Freitag Nachmittag um 15 Uhr wurde der Hörer auch mal abgenommen. Niklas vermutete hinter seiner Gesprächspartnerin eine Sekretärin, denn sie sagte als Erstes: „Ich nemm nur des Telefon ab“, und erklärte, ansonsten von nichts zu wissen. Zwei oder drei Sätze später sagte sie allerdings, die Frau, mit der er ein paar Wochen vorher telefoniert hatte, arbeite nicht mehr an dem Fall und wollte wissen, ob er denn schon eine Speichelprobe abgeben habe. Und er solle sich bitte in der nächsten Woche noch einmal melden.
Überraschenderweise war übers Wochenende immer noch nicht die Kompetenz im Polizeirevier eingezogen. Auch der neue und tatsächlich zuständige Ermittler hatte zunächst keine Ahnung, was Niklas von ihm wollte, konnte die Akte nicht finden, ließ sich deshalb alles noch einmal ausführlich erklären. Kruschtel. „In wellem Ordner issen der Herr Niklas?“ Kruschtel. „Hörn Sie? Ich find grad den Zettel von der Kollegin net, was war nochemol?“. Schließlich erklärte Niklas zum wiederholten Mal, dass er bisher noch keine Speichelprobe abgeben habe und das auch nur auf einen richterlichen Beschluss hin tun werde.
Mittlerweile bin ich nicht nur verwirrt, sondern auch sehr misstrauisch. Anfangs hatte ich nur den späten Fund des Geldes und die Sache mit der Tatwaffe nicht verstanden. Jetzt tragen die Funkzellenabfragen und diese halbanonymen Anrufe in den Dörfern nicht gerade dazu bei, mein Vertrauen in unsere Polizei zu stärken. Hatte man erwartet, dass der Täter bei dieser Gelegenheit sagt: „Gut, dass sie anrufen, ich war’s.“ oder „Ach ja, jetzt wo Sie‘s sagen, dann war das wohl mein Mann.“?
Die Naivität mancher Menschen, intime Fragen am Telefon zu beantworten, ohne wirklich zu wissen, mit wem sie es zu tun haben, erschreckt mich. Laut einem Zeitbericht haben 3000 Männer eine Speichelprobe abgeben. Kommt vor der Sammlung genetischer Daten nicht erst mal die Überprüfung der Alibis? Ist nun der halbe Neckar-Odenwald-Kreis in einer Gendatenbank erfasst? Wo und wie lange werden eigentlich unsere Handydaten gespeichert? Und weshalb erfahre ich von all dem nur, weil Verwandtschaft betroffen ist, und lese nichts darüber in der regionalen Presse?
[1] Name und Wohnort geändert
Sabine Jauch wurde an Heiligabend brutal erschlagen in ihrer Wohnung in Krumbach aufgefunden. Am Dienstag präsentierten die Fahnder einen 23-jährigen ehemaligen Zivi aus einer Kreisgemeinde. Er soll laut Polizei die Tat pauschal gestanden haben, ohne jedoch auf Täterwissen einzugehen. (Foto: pm)