„So viele Kinder – wo war mein Gott?“

„So viele Kinder – wo war mein Gott?“
„So viele Kinder – wo war mein Gott?“

Das Autorenduo Magdalena Guttenberger und Manuel Werner genießt die wertschätzende Atmosphäre. (Foto: Brauch-Dylla)

Dallau. (kbd) Einen derart großen Andrang hatten Initiator Richard Lallathin und Ortsvorsteher Siegfried Englert nicht erwartet: Über 80 Gäste fanden sich zur Lesung aus dem Buch „Die Kinder von Auschwitz singen so laut!“ im Dorfgemeinschaftsraum in Dallau ein. Magdalena Guttenberger war von der Resonanz so bewegt, dass ihr zunächst fast die Worte fehlten – nur fast: „So viele Menschen – ich danke Ihnen sehr, dass Sie alle gekommen sind“, rief sie mit großer Rührung in den Saal.

Erinnerungsarbeit in Dallau

Siegfried Englert begrüßte die Anwesenden und dankte Richard Lallathin für dessen Beitrag zur Ergänzungschronik anlässlich des 1.250-jährigen Dorfjubiläums. Durch seine Arbeit sei das Gedächtnis aufgefrischt worden. Zudem habe Lallathin die Lesung im Rahmen des diesjährigen Gedenkens an die Deportation und Ermordung der Sinti und Roma aus Mosbach und Umgebung vorbereitet.

Lallathin schilderte auch den bewegenden Besuch Magdalena Guttenbergers an jenem Nachmittag: Am Kindheitsort ihrer Schwiegermutter in Dallau, an dem einst das sogenannte "Hammel-Haus" stand, sei ihr buchstäblich „die Knie weich“ geworden. Zum Lesen sei sie deshalb zu aufgeregt, erklärte sie. Diese Aufgabe übernahm Mitautor Manuel Werner.

Entstehung einer Lebensbiografie

Manuel Werner dankte für die spürbare „Atmosphäre der Wohlgesonnenheit“ in Dallau und Mosbach – eine Atmosphäre, die alles andere als selbstverständlich sei. Gemeinsam mit Magdalena Guttenberger schilderte er die Entstehung des vielschichtigen Buchprojekts, das auf der Lebensgeschichte von Martha Guttenberger (1921–2009) basiert.

Magdalena Guttenberger, ihre Schwiegertochter, hatte seit 1972 Marthas Erzählungen handschriftlich auf Sinalco-Abrechnungsblöcken notiert. Diese Aufzeichnungen wurden zum Fundament des Buches. Sie erinnerte daran, dass ältere Angehörige der Minderheit sie sogar vor dem Aufschreiben warnten – aus Angst, die Notizen könnten bei einer möglichen erneuten Verfolgung gegen sie verwendet werden. An diesem Abend trug sie zusätzlich persönliche Erinnerungen bei, die bislang nicht niedergeschrieben wurden.

Beginn der Verfolgung

Martha Guttenberger wuchs als Tochter des Geigenbauers, Musikers und Händlers Karl Reinhardt und seiner Frau Maria auf. Mit ihren zahlreichen Geschwistern war sie außerhalb des Winters fast immer „auf der Reis’“, unterwegs mit Pferd und Wagen im süddeutschen Raum. Doch das Wandergewerbe geriet zunehmend unter Druck.

Mit der Machtübernahme durch die NSDAP 1933 nahm die Verfolgung zu. Bereits in den 1920er-Jahren wurden Angehörige der Sinti und Roma in ihren Personaldokumenten mit einem „Z“ gekennzeichnet. Unter dem NS-Regime wurde diese Praxis verschärft, später auch auf Juden ausgedehnt. 1939 verloren Sinti und Roma ihre Freizügigkeit und wurden am Ort ihres Aufenthalts festgesetzt – de facto interniert.

Zwangsunterbringung im „Hammel-Haus“

Die zehnköpfige Familie Reinhardt befand sich zu dieser Zeit in Dallau und wurde im „Hammel-Haus“ untergebracht. Obwohl das Buch auch vom Misstrauen und Argwohn der Einheimischen berichtet, wurde dieses Thema am Abend nicht vertieft. Der Vater arbeitete im Steinbruch, die Kinder gingen zur Schule. Besonders eindrücklich: ein Foto vom Weißen Sonntag einer Tochter und ein Klassenbild aus dem Jahr 1940 mit Erika Reinhardt – aufgenommen nur drei Jahre vor der Deportation.

Deportation und das Grauen von Auschwitz

Am 25. März 1943 wurde die Familie Reinhardt mit dem Deportationszug ab Mosbach nach Auschwitz-Birkenau verschleppt. Dort wurden Erika, ihre Eltern, weitere Verwandte und Marthas dreijähriger Sohn „Josefle“ ermordet.

Martha selbst wurde gezwungen, als Aufseherin im sogenannten „Waisenblock“, der Kinderbaracke, zu arbeiten. Hunger, Kälte und Krankheiten rafften die Kinder dahin. Die Erinnerung daran ließ sie nie mehr los: Sie berichtete, wie man sich manchmal sogar an den Leichnamen wärmte. Die zutiefst gläubige Katholikin fragte immer wieder: „So viele Kinder – wo war mein Gott?“

Bis zu ihrem Lebensende suchte sie auf Wallfahrten eine Antwort auf diese Frage. Sie hörte die Stimmen der Kinder in Alpträumen, wähnte sie unter dem Tisch sitzen – daher auch der Titel des Buches.

Nach dem Krieg: Leben im Ummenwinkel

Nach der Räumung von Auschwitz überlebte Martha Guttenberger weitere Lager wie Ravensbrück, Schlieben und Altenburg. Beim sogenannten Evakuierungsmarsch im April 1945 wurde sie bei Meerane von amerikanischen Truppen befreit. Zu Fuß ging sie nach Ravensburg – in der Annahme, ihre ganze Familie sei ermordet.

In Ravensburg lebte sie bis zu ihrem Tod im Ummenwinkel, einem Barackenlager, das von den Nazis 1937 für Sinti und Roma errichtet worden war. Erst 1984 wurde es mit Strom- und Wasseranschlüssen ausgestattet. Dort lernte sie Julius Guttenberger kennen, der Auschwitz ebenfalls überlebt hatte. Sie heirateten, ihr gemeinsamer Sohn Julius wurde der Ehemann von Magdalena.

Erinnerung gegen das Vergessen

Am Ende der Lesung zeigte Magdalena Guttenberger das in Auschwitz eintätowierte Häftlingszeichen „Z 5656“ in die Kamera – ein Symbol gegen das Vergessen.

Manuel Werner mahnte eindringlich, die Verantwortung für Diskriminierung nicht den Betroffenen zuzuschreiben. Vielmehr sei es Aufgabe der Mehrheitsgesellschaft, gegen Stereotype, verletzende Sprache – etwa in der Gastronomie oder im Karneval – sowie gegen Pauschalisierungen und Ausgrenzung entschieden einzutreten.

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