Standing Ovations für „Marie Juchacz“

 (Foto: pm)

100 Jahre Arbeiterwohlfahrt

Begeistert feierte das Publikum die Schülerinnen und Schüler des Auguste-Pattberg-Gymnasiums (APG) Neckarelz bei der bundesweit beachteten Premiere des Theater-Musicals über die AWO Gründerin Marie Juchacz.

Das Gymnasium hatte sich der Herausforderung gestellt, das Leben und Wirken von Marie Juchacz auf die Bühne zu bringen. „Unsere 1. Vorsitzende Gabriele Teichmann hat 2018 beim APG Musiklehrer Patrick Bach angefragt, ob er sich diese Aufgabe vorstellen kann“, sagte Peter Maurus, Geschäftsführer der AWO Neckar-Odenwald, bei seiner Begrüßung in der Alten Mälzerei Mosbach. „Nach nur 24 Stunden sagte er zu, und dann begann der Schneeball zu rollen.“

Dieser „Schneeball“ umfasste schließlich fast 100 Schülerinnen und Schüler, die APG Lehrer Patrick Bach (Musik), Wiebke Stölting (Textidee, Regie), Anja Radetzki (Bühnenbild), Margrit Schalek-Boigs (Tänzerische Leitung) und Beate Lörch-Rohmfeld (Kostüme). „Viele Schüler, Lehrer und Eltern, der Förderverein und weitere Akteure haben Freizeit geopfert und sich engagiert, damit die Jubiläen anlässlich 100 Jahre Arbeiterwohlfahrt und 250 Jahre Auguste Pattberg einen würdigen Rahmen bekommen“, sagte APG Schulleiter Dr. Thomas Pauer.

Mit großem Einfühlungsvermögen zeichneten die Darsteller den frühen Lebensweg von Marie Juchacz nach. Chiara Weber spielte Marie Juchacz als nachdenkliche, mitunter rebellische Frau, die neben der Familie einen eigenen Beruf und eine sinnvolle Betätigung anstrebte. Gleichzeitig erlebte sie die Industrialisierung der Jahrhundertwende mit ihren menschenverachtenden Arbeitsbedingungen.

„Rong-Digge-Dong gehen die Maschinen“, dieses Lied aus der Feder von Patrick Bach brachte die eintönige Arbeit im aufgezwungenen Takt der Maschinen gut herüber. Die Tanz AG des APG bewegte sich dazu hinter einer Leinwand, sodass die taktgebende Trommel, der Chorgesang und die Schattenrisse der Tänzerinnen zu einer eindrucksvollen Szenerie verschmolzen.

Die musikalische Palette war breit gestreut: Zeitgenössische Lieder des angehenden 20. Jahrhunderts, Musical- und Popsongs wechselten sich ab. Die Gesangsleistung war beachtlich; vor allem der Chor und Ann-Christin Boll in der Rolle von Maries Schwester Elisabeth brillierten. Die Hymne „Sei stark, Marie, du hast die Kraft“ gab es ganz zum Schluss noch einmal als Zugabe.

Im zweiten Teil nach der Pause stand die politische Tätigkeit von Marie Juchacz im Vordergrund. Sekretärin für Frauenfragen in Köln und Berlin, gegen alle Widerstände Verfechterin des Frauenwahlrechts und ab 1919 eine der ersten Abgeordneten im Weimarer Reichstag, das war der steinige Weg der Marie Juchacz. Nur im gemeinsamen Kampf mit ihrer Schwester Elisabeth und mit der Hilfe ihrer ganzen Familie konnte Marie ihre Kinder erziehen und gleichzeitig politische Forderungen und Frauenrechte durchsetzen. Im Jahr 1919 gründete sie die Arbeiterwohlfahrt, um für die Ärmsten eine verlässliche Unterstützung jenseits von Almosen zu organisieren. In diesem Jahr sprach Marie auch als erste Frau vor einem deutschen Parlament. Mit ihrer Originalrede endete das Stück.

Nicht nur das großartige Spiel und die facettenreichen Chöre, auch das Bühnenbild und die Inszenierung rissen das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin. Zeitgenössische Fotos und Tapetenmuster wurden auf eine große Leinwand projiziert, eine vier Meter hohe Litfaßsäule verwandelte die Bühne in eine Berliner Straße. Die jeweilige Jahreszahl wurde einfach an die Schneiderpuppe in Maries Werkstatt angehängt. Das Gegeneinander von Männern und Frauen, von rechts- und linksradikalen Demonstranten sowie konträren Parteien im Reichstag wurde durch eine scharfe Trennung der Gruppierungen auf der Bühne deutlich.

In wenigen Monaten ist der Gruppe um Patrick Bach und Wiebke Stölting eine unglaubliche Produktion gelungen. Gabriele Teichmann, Ideengeberin des Stücks, bedankte sich am Schluss mit einem besonderen Präsent: Sie überbrachte die Einladung des SPD-Bundestagsabgeordneten Josip Juratovic an alle Akteure, nächstes Jahr vier Tage lang nach Berlin zu kommen.

 Geschichte wird lebendig: Standing Ovations für die jugendlichen Darsteller auf der Mosbacher Mälzerei-Bühne.(Foto: pm)

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