
(Foto: pm)
Vortragsabend am 29. März über die Mosbacher Opfer der „NS-Euthanasie“
Mosbach. (pm) „Uns wollten sie auf die Seite schaffen…“ so lautet der Titel des 1992 erschienenen zweiten Hefts aus der Publikationsreihe des VHS-Arbeitskreises „Mosbach im Dritten Reich“. Der Arbeitskreis hatte es sich bereits in den 1980-er Jahren zur Aufgabe gemacht, Licht ins Dunkel der Mosbacher Geschichte zwischen 1933 und 1945 zu bringen.
Dieses Heft griff das damals und auch heute noch schwierige Thema der Deportation und Ermordung von 262 Menschen mit Behinderung aus den damaligen „Johannesanstalten“ Mosbach und Schwarzach in den Jahren 1940 und 1944 auf.
Der Publikation vorausgegangen war eine gleichnamige Ausstellung im Jahr 1990, in der die Mosbacher Öffentlichkeit mit dem Schicksal der aus den Anstalten abtransportierten Menschen konfrontiert wurde, die Opfer des ab 1940 durchgeführten „NS-Euthanasie“-Programms wurden. Überlebende erinnerten sich, wie Mitbewohner von „grauen Bussen“ abgeholt wurden und niemals zurückkehrten, ebenso kamen ehemalige Mitarbeiter der Anstalten zu Wort.
Über die Tötung von kranken und behinderten Menschen wurde schon weit vor der Machtübernahme durch die Nazis in gelehrten Kreisen offen diskutiert. So lautete eine Veröffentlichung des Juristen Karl Binding und des Psychiaters Alfred Hoche aus dem Jahr 1920 „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form“.
Mit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, das 1934 in Kraft trat, begannen die neuen Machthaber diese in ihrer Rassenideologie fest verankerte Denkweise in die Tat umzusetzen. Das Gesetz ermöglichte Zwangssterilisationen von sog. „erbkranken“ Menschen. Von den etwa 400.000 Betroffenen sind etwa 5.000 an den Folgen diese Operationen verstorben.
Nach Beginn des zweiten Weltkrieges durch Deutschland trat die Ermordung sogenannten „lebensunwerten Lebens“ in eine neue, noch tödlichere Phase ein, die erste Phase des planmäßigen „NS-Euthanasie“-Programms ab Januar 1940. In sechs über das Deutsche Reich verteilte „Vernichtungsanstalten“ wurden bis August 1941 im Rahmen der „Aktion T4“ über 70.000 Menschen mit Behinderungen und psychischen Krankheiten ermordet.
Für Baden war bis Dezember 1940 die Anstalt Grafeneck auf der Schwäbischen Alb „zuständig“, danach jene im hessischen Hadamar. Diese erste Phase endete mit dem Beginn des Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion und den Predigten des Münsteraner Bischofs von Galen gegen die „gewaltsame Tötung von Menschen mit Behinderung“ im Sommer 1941. Dennoch ging das Morden an der Heimatfront stillschweigend weiter. Dieser zweiten Phase der „NS-Euthanasie“ fielen bis 1944 schätzungsweise weitere 130.000 Menschen zum Opfer.
Dr. Hans-Werner Scheuing, ehemaliger Lehrer an der Johannesschule in Schwarzach, holte die Geschichte dieser menschenverachtenden Politik und der vor Ort davon Betroffenen in seiner Dissertation aus dem Jahr 1997 ans Licht. Er forschte nach Namen und Biografien der ermordeten Menschen, spürte neue Quellen auf, wie etwa von der Forschung bisher nicht zur Kenntnis genommene Klinikunterlagen.
Deshalb weiß man heute, dass 32 dieser Mordopfer aus Mosbach stammten. Die Schicksale dieser 32 Menschen werden seit Ende 2018 von Ehrenamtlichen erforscht. Bis Ende November liefen die Fäden dieser „Arbeitsgemeinschaft Lebensgeschichten“ bei Christine Funk, der damaligen Leiterin des Mosbacher Kulturamtes zusammen. Nach ihrem Eintritt in den Ruhestand hat die hiesige Stadtarchivarin Martina Rantasa die Leitung der Arbeitsgruppe übernommen.
Nachdem schon über die Hälfte der Biografien bearbeitet und auch ein guter Teil davon aufgeschrieben wurde, möchte die „Arbeitsgruppe Lebensgeschichten“ nun die bisherigen Arbeitsergebnisse im Rahmen eines Vortragsabends der Öffentlichkeit vorstellen. Dafür wurde Dr. Lea Oberländer aus Mannheim gewonnen. Die Historikerin forschte in ihrer Dissertation über die massenhafte Ermordung von kranken und behinderten Menschen in Deutschland im Allgemeinen und in Mannheim im Besonderen.
Sie wird an dem Abend den historischen Hintergrund der „NS-Euthanasie“ und der „Aktion T4“ beleuchten. Außerdem werden Mitglieder der Mosbacher Arbeitsgemeinschaft ausgewählte Biografien vorstellen. Eine Frage- und Diskussionsrunde soll die Veranstaltung abrunden.
Die Mosbacher Ehrenamtlichen erhoffen sich, durch die Veranstaltung weitere Mitstreiter für ihr wichtiges Vorhaben zu gewinnen. Interessierte sind herzlich willkommen!
Info:
Der Vortrag „NS-Euthanasie“ in Mosbach findet am 29.03.2022, um 20:00 Uhr, im Unteren Rathaussaal in Mosbach unter den zu diesem Zeitpunkt gültigen Coronaregeln statt. Eine Anmeldung per Telefon oder Mail ist zwingend notwendig unter 06261-82459 oder archiv@mosbach.de.