Bei der GNSS-Messkampagne 2021 waren 35 Messtrupps aus dem gesamten Bundesgebiet beteiligt. Das Bild zeigt einen Messtrupp vom hessischen Landesvermessungsamt in Schloßau zusammen mit Kollegen und Auszubildenden vom Fachdienst Vermessung des Landratsamts Neckar-Odenwald-Kreis. (Foto: pm)
Hochgenaue GNSS-Messkampagne vom Meer bis zu den Alpen
Schloßau. (pm) In diesem Sommer wurden die vermessungstechnischen Grundlagen für die gesamte Bundesrepublik Deutschland in einer außergewöhnlichen Aktion erneuert. 15 Landesvermessungsämter und das Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG) nahmen mit 35 Messtrupps im gesamten Bundesgebiet teil. Die Auszubildenden des Landratsamtes informierten sich vor Ort.
Auftrag war es, eine vollständige Überprüfung der sogenannten „geodätischen Grundnetzpunkte“ in Lage und Höhe durchzuführen und die neuen Angaben mittels Satellitenmessverfahren auf den Millimeter genau zu bestimmen. Zwei der deutschlandweit insgesamt 250 Punkte liegen im Neckar-Odenwald-Kreis, einer in Schloßau, der andere in Mosbach.
„Die geodätischen Grundnetzpunkte realisieren und sichern den integrierten Raumbezug, d.h. sie bilden die Grundlage für die exakte Positionsermittlung nach Lage und Höhe mit dem Satellitenmessverfahren (GNSS = englisch für global navigation satellite system). Dabei stellen sie die Verbindung zum physikalischen Höhenbezugssystem, der Höhenangabe über Normalnull, dar,“ erläuterten der Leiter des Fachdienstes Vermessung, Herbert Frisch, sowie der Leiter des hessischen Messtrupps, Klaus Kunkel, den Vermessungstechniker-Azubis des Landratsamtes am Grundnetzpunkt 6420 234 in Schloßau. Denn bisher konnten die Lage- und Höhenangaben nur in getrennten Bezugssystemen nachgewiesen werden.
Die GNSS-Messkampagne zur Aktualisierung des erstmals im Jahr 2008 geschaffenen hochgenauen Grundlagennetzes steht damit in der Tradition der ersten landesweiten Vermessungen im frühen 19. Jahrhundert. „Für die Abbildung der Erde in ein ebenes Koordinatensystem wurde damals das Soldner-Koordinatensystem verwendet.
Da man größere Entfernungen nicht mit ausreichender Genauigkeit messen konnte, wurde die Bestimmung der Koordinaten der Festpunkte über die sogenannte Triangulation (Dreiecksmessung) durchgeführt. Ein zentraler Punkt bildete dabei der Turm auf dem Katzenbuckel, der 1821 fertiggestellt und für diesen Zweck sowohl für die badische, die württembergische und hessische Landesvermessung verwendet wurde,“ informierte Frisch.
Zur Höhenbestimmung waren aufwändige Nivellements erforderlich, die von den festgelegten Höhenbezugspunkten ausgingen. In Baden war dies für die Landesaufnahme in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Boden des Straßburger Münsters, dessen Höhe mit 48,584 badischen Ruten angehalten wurde und sich auf das Mittelmeer bezog. Seit 1879 wurde deutschlandweit einheitlich der Amsterdamer Pegel als Höhenbezugsfläche eingeführt und mit „Normal Null“ (Höhe über NN) bezeichnet.
Bei der Satellitenmessung beziehen sich die Positionsangaben nach Lage und Höhe einheitlich auf ein geozentrisch (im Erdmittelpunkt) festgelegtes Koordinatensystem. „Durch die Nutzung der Korrekturdaten von insgesamt 17 in Baden-Württemberg fest installierten und vernetzten Satellitenstationen mit Zentrale in Karlsruhe, liefert das Verfahren exakte Positionen in Lage und Höhe, ohne dass örtliche Festpunkte in den bisherigen Bezugssystemen erforderlich sind,“ hob Thomas Hornung, Ausbildungsleiter beim Fachdienst Vermessung, den wirtschaftlichen Vorteil beim Einsatz der Satellitenmessung hervor.
Um möglichst genaue Ergebnisse zu erhalten, wurden bei der aktuellen GNSS-Messkampagne -200 Jahre nach den trigonometrischen Messungen auf dem Katzenbuckel- die beiden Grundnetzpunkte im Neckar-Odenwald-Kreis zweimal 24 Stunden lang zeitgleich mit anderen Grundnetzpunkten beobachtet und dabei die Satellitennavigationssysteme des amerikanischen GPS, des russischen GLONAS und des europäischen GALILEO genutzt.
Die Ergebnisse dienen nicht nur den klassischen Vermessungsaufgaben und dem Liegenschaftskataster, sondern sind auch Grundlage für vielfältige weitere Aufgaben, z.B. in den Bereichen Klimawandel, Hochwasserschutz, Geodynamik und Oberflächendeformation; und auch die präzise Fahrzeugnavigation für das Precision Farming oder autonomes Fahren baut darauf auf.
Trotz regnerischen Wetters war es für die Auszubildenden des Landratsamtes eine einmalige Gelegenheit, den enormen Wandel der Vermessungsmethoden hautnah kennenzulernen und sogar bei einer Überprüfung der Höhe der Satellitenantenne selbst Hand anlegen. „Während die Grundlagenvermessung früher Jahrzehnte dauerte, wurde sie heute dank modernster Technik in wenigen Wochen und mit deutlich höherer Genauigkeit realisiert“, so das Resümee.
(Foto: pm)