„Oh, Tannenbaum“ bleibt im Hals stecken

Grüner Ortstermin mit dem Landtagsabgeordneten Uli Sckerl, Bürgermeistern, Naturschützern Landwirten und Behördenvertretern in Mudau-Steinbach

Unser Bild zeigt von links: Charlotte Schneidewind-Hartnagel, Eberbach, Grüne Landtagskandidatin Rhein-Neckar und Mitglied des Landesvorstands; Simone Heitz, Grüne Landtagskandidatin NOK; Hans-Ulrich Sckerl MdL. (Foto: privat)

Neckar-Odenwald-Kreis. Noch ist Weihnachten weit. Und kaum jemand verwendet seine Zeit mit Gedanken an Christbäume. Doch etlichen Bauernfamilien in Mudau, Limbach, Waldbrunn und Stürzenhardt wird auch in 40 Tagen das „Oh, Tannenbaum“ im Hals stecken bleiben. Denn manchen von ihnen ist gerade jetzt zum Martinstag, an dem klassischerweise Pachtverhältnisse geschlossen oder gekündigt werden, massiv Ackerland oder Weide verloren gegangen.

Warum das so ist, erfuhr Uli Sckerl, Landtagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen, zu dessen Betreuungswahlkreis auch dieser Teil des  Odenwalds gehört, bei einem Vor-Ort-Termin. Dazu hatten ihn die grünen Kreisvorsitzenden Christine Böhm und Christine Denz sowie die beiden Landtagskandidatinnen Simone Heitz (Aglasterhausen) und Charlotte Schneidewind-Hartnagel (Eberbach) eingeladen.

Grund für die Misere ist, ein „Murks im Gesetz“, wie es der Ortsvorsteher von Mudau-Steinbach und Demeter-Milchviehhalter, Georg Moser, beschreibt oder ein „handwerkliches Missgeschick“ wie es von Amtsseite verlautet. Fakt ist, dass im Oktober 2009 die baden-württembergische Landesregierung eine Änderung des Landwirtschafts- und Landeskulturgesetz herbeigeführt hat, auf Grund dessen die Anlage von Christbaumkulturen nicht mehr genehmigungspflichtig ist. Bürokratieabbau lautete die Devise.

Aus einem Genehmigungsverfahren wurde also schlicht ein Anzeigeverfaren. Nur wenn es massive naturschutzrechtliche Bedenken gibt, kann das Vorhaben abgelehnt werden. Dieser Fehler, von dem sogar die Behördenvertreter des Landratsamtes sagen, dass er schnellst möglich korrigiert werden müsste, geht Moser und etlichen seiner Landwirtskollegen an die Existenz. Ihre ganze Hoffnung setzen sie jetzt auf eine Petition, die vom zuständigen Ausschuss bereits als berechtigt an den für Ländlichen Raum und Landwirtschaft weiter verwiesen wurde. „Ein echter Erfolg“, weiß Parlamentarier Sckerl, wo doch in der Regel 98 Prozent der Petitionen abgelehnt werden. Das gebe bei entsprechendem Nachdruck Zuversicht darauf, dass das Rad möglicherweise doch zurück gedreht werden kann. „Die Richtung“, so der Abgeordnete von der badischen Bergstraße, „ist richtig“. Er fordert, dass die Entscheidung über solche Umwidmung von Flächen wieder in die Kommunen zurück muss und zwar schnellstens.

Flankiert sieht er sich dabei nicht nur von den Umweltverbänden, sondern auch von den Bürgermeistern der besonders betroffenen Odenwald-Gemeinden. Die wollen ihre Kompetenzen und Gestaltungsmöglichkeiten wieder erhalten und fürchten um das Landschaftsbild. Das leidet nämlich beträchtlich, wenn sich statt lauschiger Auen mit grasenden Kühen, soweit das Auge reicht, die Monokulturen, der wie mit dem Lineal gezogenen Flächen mit Tannen, breit machen. Dass aufgebende Landwirte den Christbaumanbauern zum Teil komplett ihre Flächen überlassen, bereitet ihnen große Sorge. „Da läuft etwas aus dem Ruder“, so Bürgermeister Bruno Stipp aus Limbach. Eine Möglichkeit „Nein zu sagen“, gebe es nach der Gesetzesänderung nicht mehr. Demzufolge, so sein Mudauer Kollege Norbert Rippberger, werden immer mehr, immer größere Plantagen angelegt. In jeder Gemeinderatssitzung kommen „wieder ein paar Hektar dazu“, berichtet der Bürgermeister.

Wie Pilze schießen derzeit in den besonders betroffenen Gebieten des Odenwalds die Weihnachtsbaum-Kulturen aus dem Boden. Im kleinen Ort Steinbach beispielsweise sprießen Nordmanntanne und Co. schon auf 80 Hektar, das entspricht einem Fünftel der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Und das nicht etwa von selbst. Der Nadelbaum, der ursprünglich aus dem Kaukasus stammt, und deswegen nur in besonders rauen Gegenden gedeiht, wird eingezäunt und mit Pestiziden unkrautfrei gehalten. Ein Umstand, der den weiterhin Getreide anbauenden oder Weidewirtschaft betreibenden Landwirten das Leben zum Kreuz werden lässt. Ganz zu schweigen vom Landschaftsbild, das sich mancherorts in rasanter Geschwindigkeit in eine Steppe mit kleinen Tannenspitzen verwandelt. „Es ist eine Schande“, macht ein Landwirt seinem Ärger Luft. Er fordert klaren Vorrang für Bauern, die Lebensmittel produzieren und hegt ernste Zweifel daran, ob die „fünf Zentimeter Humus, die uns ernähren“, eine mehrjährige Christbaumkultur unbeschadet überstehen.

Die Dimension ist beträchtlich. Waren es früher vielleicht 20 Anträge mit insgesamt rund 50 Hektar Christbaumkultur kreisweit im Jahr, ist es seit der Gesetzesänderung vor einem Jahr schon mehr als doppelt so viel Fläche. Und das Tempo beschleunigt sich, auch zum Verdruss der Genehmigungs- und Landwirtschaftsbehörde. Deren Vertreter sehen mit Bestürzung, wie die Bauern, denen sie vor kurzem noch zum Ausbau ihrer Ställe geraten haben, nun im wahrsten Sinne des Wortes der Boden unter den Füßen weggezogen wird. „Das ist ökonomisch nicht zu vertreten und ökologisch schon gar nicht“, so Christine Denz.

„Ein Riss geht durch die Gemeinden“, beschreibt ein Bauer aus Limbach die Lage. Während die einen sich darüber freuen, dass die gewerblichen Christbaumkulturen ihnen einen Pachtertrag von 500 bis 800 Euro im Jahr pro Hektar bringen, von denen sie bislang nicht zu träumen gewagt hätten (üblich sind 150 Euro), sehen die anderen mehr und mehr ihre Flächen schwinden.

Nicht, dass sie grundsätzlich etwas gegen das weihnachtliche Grün hätten. Die Kultur dieser Tannenbäume war schon lange ein Zubrot in der harten Landwirtschaft, nur in diesem Ausmaß, fast agroindustriell betrieben, bedroht es nicht nur den Dorffrieden, sondern auch das Auskommen. Das kann Andreas Siegmund bestätigen. Er kennt als Geschäftsführer des Bauernverbandes im Neckar-Odenwald-Kreis beide Seiten und moniert dennoch, den „aggressiven Eingriff in die Pachtmacht“ und die Goldgräberstimmung, die sich so mancherorts breit macht. Keinesfalls sollen dabei aber alle in einen Topf geworfen werden. Sogar Vertreter des Naturschutzbundes bescheinigen zahlreichen Besitzern von Christbaumschonungen einen schonenden Umgang mit Landschaft und Boden. So gibt es  beispielsweise am Katzenbuckel kleinräumige, traditionelle Kulturen, wo Schafe das wuchernde Gras klein halten und die Bauern die Bäumchen noch mit der Zange in Form bringen. „Das“, darin waren sich alle Beteiligten des Ortstermins einig, „passt in unsere Landschaft“.

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Christbaum-Plantagen zerstören die über Jahrhunderte gewachsene Kulturlandschaft des Odenwalds und nehmen ihm dadurch seinen touristischen Reiz. Darüber hinaus erschwert es den Landwirten die Arbeit. (Foto: privat)

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