Markante Streusiedlung mit mehr als 600-jähriger Geschichte
von Albrecht Ernst
Mosbach. Mosbachs jüngster Stadtteil feiert in diesem Jahr vom 10. bis 12. Juni ein großes Jubiläum. Vor 600 Jahren, am Ostersamstag 1416, wurde Sattelbach erstmals in einer Urkunde erwähnt. Doch die Entwicklungsgeschichte des Dorfes ist spannender und reicht weiter zurück, als es die zufällige Nennung des Ortsnamens vermuten lässt.
Als Pfalzgraf Otto I. von Mosbach seinen Anteil an den Dörfern Dallau und Auerbach 1416 an den Deutschen Orden verpfändete, hielt man die betroffenen Liegenschaften schriftlich fest. In der Pergamenturkunde, die das Rechtsgeschäft dokumentierte, wird ein Waldstück „jenseits der Trienz gen Sattelbuch zu“ genannt. Aus dieser knappen Notiz erfahren wir zum ersten Mal von der Existenz des Dorfes Sattelbach. Die ursprüngliche Namensform legt nahe, dass es sich um eine hochmittelalterliche Rodungssiedlung handelte, die auf einem sattelförmigen Gelände angelegt worden war.
Doch erste menschliche Spuren lassen sich bereits für die Mittlere Bronzezeit (um 1500 v. Chr.) nachweisen. Und auch die Römer zeigten Präsenz, als sie den älteren Odenwaldlimes seit etwa 100 n. Chr. schnurgerade über die heutige Sattelbacher Gemarkung führten. Eine dauerhafte Besiedlung ist spätestens seit der Herrschaft Karls des Großen bezeugt. Denn im Jahr 788 schenkte eine gewisser Giselbalt dem Abt des Klosters Lorsch einen Hof mit sechzig Morgen Land und eine Wiese, die in Rohrbach und Dallau lagen. Der schon im Frühmittelalter verschwundene Weiler Rohrbach ist im Westen der Sattelbacher Gemarkung zu lokalisieren, worauf das gleichnamige Gewässer und der Flurname „Wüsthausen“ hindeuten.
Sattelbachs Geschichte weist bemerkenswerte Kontinuitätsbrüche auf. Auch das vor 600 Jahren erwähnte, oberhalb des Trienzbachs gelegene Dorf, das aus sechs Hofgütern bestand, wurde schon im 16. Jahrhundert wieder aufgegeben. Die Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Flächen übernahmen Bauern aus Lohrbach, Dallau, Fahrenbach und Trienz. Das brachliegende Feld wurde später von der kurpfälzischen Hofkammer eingezogen und verpachtet. Um 1750 gab es drei über die Gemarkung verstreute herrschaftliche Erbbestandshöfe sowie einige kleinere Häusergruppen. Daraus entwickelte sich die Siedlungsform des Streudorfes, die für Sattelbach bis heute charakteristisch ist.
Auf Betreiben der kurfürstlichen Regierung, die auswärtige, zumeist katholische Siedler anwarb, wuchs die Bevölkerung im Laufe des 18. Jahrhunderts von etwa 50 auf mehr als 200 Einwohner, darunter die Familiennamen Gallian, Knapp, Konrad, Macumulla und Münch. Nur mit Mühe fanden sie ihr Auskommen auf den roten, lehmigen Böden, die mit „viel Fleiß und Dung bezwungen“ werden mussten und doch nur geringen Ertrag abwarfen. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts besaß ein Viertel der männlichen Bewohner kein Bürgerrecht. Als Beisassen und Tolerierte verfügten sie über keinerlei Grundbesitz und mussten sich als Tagelöhner verdingen. Und selbst die wenigen örtlichen Handwerker waren auf Nebentätigkeiten angewiesen, um ihre Familien zu ernähren.
Seit seinen Anfängen war Sattelbach nie eine selbständige Gemeinde gewesen. Es unterstand stets dem Lohrbacher Gerichtsstab und entsandte dorthin einen Schöffen. Erst 1809 verfügte ein Großherzoglich Badisches Organisationsreskript, dass jede Ortschaft, die mehr als 40 Bürger aufwies, zu einer eigenen Gemeinde erhoben werden sollte. Nun löste sich Sattelbach aus dem Verbund mit Lohrbach. Die Startschwierigkeiten waren jedoch immens. Außer der Schäfereipacht verfügte das junge Gemeinwesen, das lediglich ein Hirtenhäuschen sein eigen nannte, über keinerlei Einnahmen. Überdies litt die Bevölkerung, da man keinen Gemeindewald besaß, unter stetigem Holzmangel. Wie anfällig das Dorf auf wirtschaftliche Krisen reagierte, zeigt eine handschriftliche Notiz von Johann Adam Friedel aus Sattelbach. In ergreifenden Worten schildert er das Jahr 1816, als der Sommer ausfiel und das Getreide im dauernden Regen verfaulte. Im Folgejahr kam es aufgrund des „Mißwachses“ zu einer dramatischen Teuerung und Hungersnot, die so manchen Sattelbacher zwang, sogar seine Kleider zu verkaufen. Resigniert schrieb Friedel: „Hunger bleibt nach dem Essen – und Speis ist bald vergessen.“
Nur langsam besserten sich die ungünstigen Verhältnisse in Sattelbach. Um 1850 tendierten selbst die wohlhabenderen Bürger zur Auswanderung, um nicht für den hohen Schuldenstand der Gemeinde aufkommen zu müssen. Noch 1861 lebten 80 Prozent der Einwohner vom Tagelohn, und bis ins 20. Jahrhundert blieb Sattelbach eines der ärmsten Dörfer im Amtsbezirk Mosbach. Neue Perspektiven eröffnete 1905 der Bau der Nebenbahn Mosbach – Mudau, die den Zugang zu auswärtigen Arbeitsplätzen erleichterte. Und in der Tat lassen die seit 1900 verstärkt erbauten Sandsteinhäuser einen bescheidenen Aufschwung erahnen.
Kirchlich gehörte das Dorf seit alters zu Lohrbach, wo man die Gottesdienste besuchte und die Toten zur letzten Ruhe bettete. Im Jahr 1807 lebten in Sattelbach 209 Katholiken, aber nur 25 Reformierte und 2 Lutheraner. Während vor Ort ein katholischer Schulmeister die Jugend unterrichtete, mussten die wenigen evangelischen Kinder ihre Konfessionsschule in Lohrbach oder Fahrenbach besuchen. Bis ins ausgehende 20. Jahrhundert blieb der traditionelle Konfessionsproporz relativ konstant, indem sich der Anteil der Katholiken bei knapp 80 % bewegte. Allerdings hatte die Aufnahme von Heimatvertriebenen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu einem sprunghaften Anstieg der Bevölkerung geführt. Waren es 1939 noch 379 Einwohner gewesen, so kletterte ihre Zahl 1950 auf 565. Angesichts dieses Wachstums legte man 1953 den Grundstein zur Filialkirche St. Josef, deren markantes Sichtmauerwerk im Odenwälder Sandstein ausgeführt wurde. Gemeinsam mit dem neu gestalteten Gemeindezentrum bildet sie die Mitte dieses schmucken, ländlich geprägten und lebenswerten Mosbacher Stadtteils.
(Repro: Albrecht Ernst)