War man früher schon zufrieden, die Welt durch eine metaphorische rosarote Brille zu betrachten, ist heute aus der imaginären weltverbessernden Sichthilfe längst Realität geworden – und zwar eine virtuelle (VR) oder augmentierte (AR).
Brillen oder Headsets, die den Träger in eine verrückte, aufregende, Adrenalin-erzeugende Welt versetzen, sind inzwischen unaufhaltsam auf dem Vormarsch. Waren für das Jahr 2016 noch Verkaufszahlen von 14,9 Millionen VR-Brillen prognostiziert, werden für dieses Jahr weltweit allein schon 171 Millionen Nutzer und ein Umsatz von neun Milliarden US Dollar im Bereich Virtuelle Realität vorausgesagt.
Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/318536/umfrage/prognose-zum-umsatz-mit-virtual-reality-weltweit/
Noch liegt der Hauptanwendungsbereich bei Spielen jeglicher Art. Monat für Monat gibt es Neuerscheinungen. Für starke Nerven empfiehlt www.computerbild.de den Horrorschocker „Resident Evil 7“, und wer schon immer von fremden Welten geträumt hat, kann per Brille in „Elite Dangerous“ ins Cockpit eines Raumschiffs steigen und das All erforschen.
Einen Nervenkitzel der anderen Art bietet der Einstieg in die virtuelle Realität Glücksspielern an. Für Online-Casinos gilt das Ticket in eine künstlich erzeugte Welt als wichtiger Bestandteil seiner Zukunft.
Das Headset aufsetzen, und das Casino in 3D und 360 Grad rundherum erleben, am Roulettetisch sitzen, oder beim Poker auf einen Royal Flush hoffen und zwischendurch ducrh die Spielbank schlendern, sich wie James Bond fühlen und vergessen, dass man nicht in Las Vegas oder Monte Carlo ist, sondern in den eigenen vier Wänden am heimischen Computer sitzt – wer kann da schon widerstehen?
Die Idee der virtuellen Realität ist alles andere als neu, aber wie so viele bahnbrechende Erfindungen mussten mehrere Faktoren zusammenkommen, um sie machbar und vor allem bezahlbar werden zu lassen.
Der erste konkrete Entwurf stammte von Morton Heilig, der 1956 eine Apparatur names Sensorama kreierte, in der er das Kino der Zukunft sah. Leider handelte es sich dabei um ein Einzelstück ohne kommerziellen Erfolg.
Deutlich weiter kam neun Jahre später der Harvard-Student Ivan Sutherland mit seinem Konzept für das „ultimative Display“ – die theoretische Basis für heutige VR-Technik. Drei Jahre danach, 1968, veröffentlichte er ein Buch, das grundlegend für VR-Brillen in ihrer jetzigen Form ist.
Danach kam ziemlich lange nichts Bahnbrechendes, obwohl Thomas Zimmermann und Jaron Lanier mit ihrer 1987 gegründeten Firma einen mit Glasfaser bestückten Handschuh („Data Glove“) entwickelten, der die Fingerdaten erfasste und damit zum Pionier in der Digitalisierung und Wiedergabe eines Körperteils in der virtuellen Welt wurde.
Das Problem waren über viele Jahre geringe Rechenleistungen, niedrige Auflösungen und hohe Entwicklungskosten. Die ersten Headsets waren zudem zu schwer, um sie tatsächlich tragen zu können.
So richtig in Schwung kam VR erst 2012, als das Startup-Unternehmen Oculus VR dank leistungsstarker Prozessoren und Grafikkarten sowie günstigen hochauflösenden Monitoren eine neue Generation von VR-Brillen für den Konsumgütermarkt entwickelte, der sie den Namen Oculus Rift gaben.
Quelle: https://www.shutterstock.com/image-photo/world-videogames-512944708?src=zl8WEQh7upirlZGxzcQ0sQ-1-19
Facebook-Gründer Mark Zuckerberg war von dem Ergebnis so überzeugt, dass er 2014 das Unternehmen für stolze 2,3 Milliarden US Dollar übernahm. Seine Zukunftsvisionen für soziale Medien sehen unter anderem die Interaktion zwischen Nutzern per Avatar voraus.
Zuckerberg war mit seiner Überzeugung von der Bedeutung von VR nicht allein. Seit 2016 gibt es auf dem Markt außer Oculus Rift auch HTC Vive und Playstation VR, so dass die Systeme der breiten Masse zugänglich sind.
Dabei hat die Entwicklung erst begonnen. Für die Zukunft werden bahnbrechende Nutzungen in allen möglichen Feldern vorhergesagt.
Zum Beispiel in der Medizin: Phobiker könnten in der virtuellen Welt dem ausegsetzt werden, was sie am meisten fürchten (noch werden diese Therapien in der Wirklichkeit eingesetzt). Studenten etwa könnten Operationen simulieren.
Quelle: https://www.shutterstock.com/image-photo/interface-against-surgeons-performing-operation-activity-513478009?src=zl8WEQh7upirlZGxzcQ0sQ-1-80
Auch für das Militär ist VR hochinteressant. Eine koreanische Firma entwickelt zum Beispiel eine Brille fürs Fallschirmtraining – der Träger kann in der virteullen Welt seinen Flug steuern und lernen, auf verschiedene Faktoren zu reagieren, ohne sich in Gefahr zu begeben.
Eine russische Firma entwickelt derweil einen Helm zur Steuerung von Drohnen per Kopfbewegung.
Der Schul- und Bildungssektor könnte ebenfalls profitieren. Die Brillen könnten es zukünftigen Schülern ermöglichen, sich von ihren Stühlen im Klassenzimmer mitten in die Prähistorische Welt zu begeben und zum Beispiel eine Dinosaurierherde aus nächster Nähe zu beobachten – Jurassic Pak lässt grüßen. Und wer möchte nicht mit Kolumbus die Neue Welt entdecken, oder im alten Rom Cäsars Senat erleben?
Quelle: https://www.shutterstock.com/image-photo/young-schoolboy-wearing-vr-headset-experiencing-561287629?src=zl8WEQh7upirlZGxzcQ0sQ-2-30
Wer als Einzelkämpfer den Arbeitsalltag bewältigt, könnte per Brille Konferenzen mit seinen Kollegen aus aller Welt erleben (In den Kingsman-Filmen haben wir dies bereits gesehen).
Sportfans können sich ebenfalls Hoffnung machen. In nicht allzu ferner Zukunft können sie möglicherweise bei Sportübertragungen nicht mehr nur das sehen, was heute Kameraführung und Regie bestimmen, sondern per Kopfbewegung selbst den Kamerawinkel auswählen.
Die chinesische Firma Pimax hat derweil gerade einen Prototyp für eine 8K-Brille vorgestellt.
Pro Linse soll dabei ein 4K-Display mit einer Auflösung von 3840 x 2160 Pixel nicht nur für unübertroffene Bildqualität sorgen, sondern auch dem gefürchteten Fliegengitter-Effekt entgegenwirken. Auch das Sichtfeld soll mit 200 Grad deutlich besser sein als alles, was derzeit auf dem Markt ist.
Noch ist die 8K-Brille laut ersten Testberichten nicht ganz so herausragend, wie es sich Pimax erhofft, aber die Chinesen, die das Projekt über eine Kickstarter-Kampagne finanziert haben, hoffen, alle Erwartungen zu erfüllen, wenn die Brillen in ein paar Monaten wie geplant ausgeliefert werden sollten. Den Testern zufolge ist das durchaus nicht durch eine rosarote Brille betrachtet, sondern absolut möglich.