30.11.09
„Staatsfeind Nr. 1″ kämpft gegen Gespenst DDR / Vortrag von Wolfgang Welsch zum Abschluss der Reihe „20 Jahre Mauerfall”
Der Publizist und ehemalige Fluchthelfer Wolfgang Welsch sprach zum Abschluss der Reihe „20 Jahre Mauerfall” am Eberbacher Hohenstaufen-Gymnasium. Unser Bild zeigt ihn zusammen mit dem Moderator Studienrat Dr. Christian Jung. (Foto: Mauritius Schell).
(pm). Zum Abschluss der Veranstaltungsreihe „20 Jahre Mauerfall” kam der Publizist und ehemalige Fluchthelfer Wolfgang Welsch Mitte November 2009 an das Eberbacher Hohenstaufen-Gymnasium (HSG). Oberstudiendirektor Helmut Schultz freute sich, in dem Publizisten einen ausgewiesenen Fachmann für die Geschichte der DDR als der zweiten Diktatur auf deutschem Boden für eine Veranstaltung gewonnen zu haben. An dieser nahmen rund 180 Schülerinnen und Schüler der 12. und 13. Klassenstufe sowie einige interessierte Bürger teil. Die Moderation übernahm Studienrat Dr. Christian Jung, der Welsch über seine historische Arbeit kennt.
Wenn es nach Erich Mielke Erich Mielke, dem Minister für Staatssicherheit der DDR, gegangen wäre, würde Welsch seit langem nicht mehr leben. Denn der Stasi-Chef gab schon 1979 den Befehl: „Liquidieren!”. Innerhalb weniger Jahre wurde der heute in Sinsheim lebende Welsch zum „Staatsfeind Nr. 1″ der DDR. Nach mehreren Haftzeiten mit Folterungen und Scheinhinrichtung wegen Widerstands und eines Fluchtversuches aus der DDR, baute er nach seinem Freikauf durch die Bundesrepublik ab 1971 parallel zu seinem Soziologiestudium eine geheime Fluchthelferorganisation auf. Über 200 Menschen gelang dadurch die Flucht aus der DDR, was der Publizist eindrucksvoll am Beispiel eines 12-jährigen Mädchens schilderte, die er über einen Kurier und mit Hilfe eines umgebauten Autos 1974 am „helllichten Tag aus Leipzig verschwinden” ließ. Erich Mielke bekam bei jeder gelungenen Aktion regelmäßige Wutausbrüche.
Nach der Wiedervereinigung 1990 stellte sich heraus, dass Welsch und seine Familie mehrmals umgebracht werden sollten. Unter anderem versuchte ein vermeintlicher Freund durch vergiftete Buletten bei einem Israel-Urlaub ihn ins Jenseits zu befördern. Er wurde nach der Wende verurteilt. Der verantwortliche Stasi-Führungsoffizier jedoch erhängte sich kurz vor dem anberaumten Prozess in den 1990er-Jahren in der Untersuchungshaft. Die Lebenserinnerungen des Fluchthelfers Welsch aus dem noch heute im Buchhandel erhältlichen Bestseller „Operation Skorpion. Ich war Staatsfeind Nr. 1″ wurden schließlich 2004 in dem Politthriller „Der Stich des Skorpion” verfilmt.
Bei seiner Aufklärungsarbeit informierte der Soziologe die völlig stillen und gespannt zuhörenden Schüler über die menschenverachtenden Praktiken der DDR gegen regimekritische Menschen. 20 Jahre nach der friedlichen Revolution gegen die SED-Diktatur im Herbst 1989 erzürnt ihn das Auftreten den noch lebenden früheren Machthaber. Etwa wenn er von ehemaligen hauptamtlichen Stasi-Mitarbeitern, früheren SED- Mitgliedern oder aktuellen Politikern der Linkspartei Linkspartei mit „ihrer dubiosen Vergangenheit” geschichtsklitternde Relativierungen über die DDR „medial erleiden” muss.
„Besonders traurig bin ich, dass die Täter von damals ihre Verbrechen gegenüber systemkritischen Menschen immer noch leugnen und die DDR als einen Hort der Humanität preisen”, sagt Welsch. Als Opfer der „Gedankenpolizei” Staatssicherheit und der SED-Diktatur „erwarte ich wie jedes Opfer, dass ein Täter zumindest Scham für sein begangenes Unrecht” zeigt, stellt er erbost heraus. Viele Täter von damals, die durch Entscheidungen und Handlungen Menschen physisch und psychisch ruiniert hätten, stilisierten sich zudem mittlerweile zu Opfern.
Um den teilweise vergessenen Widerstand gegen den SED-Staat zu würdigen, hat Welsch nun das umfangreiche Buch „Die verklärte Diktatur. Der verdrängte Widerstand gegen den SED-Staat” (Helios-Verlag) herausgebracht. Im öffentlichen Bewusstsein wird – so Welsch – der Beitrag von Widerstandskämpfern gegen die DDR auch im Vergleich zu der nationalsozialistischen Zeit immer noch unzureichend gewürdigt. Beispielsweise durch viel zu geringe Opferrenten. „Es macht keinen Unterschied, wie gequält und gefoltert wurde. Straflager gab es bis 1989 auch in der DDR. Darüber wissen heute nur noch Historiker Bescheid”, betont Welsch. Deshalb versuche er einen Beitrag gegen die voranschreitende Verklärung der DDR entgegenzutreten, die fälschlicherweise immer mehr als „Konsens-Diktatur” bezeichnet werde. Die Veranstaltung endete mit zahlreichen Fragen der Schüler, die dabei immer wieder äußerten, dass die Veranstaltungsreihe ihnen die jüngste deutsche Geschichte näher gebracht habe. Ein Zeitzeuge wie Welsch sei immer etwas anderes, als Geschichte im Unterricht mit Quellen zu erschließen.
Infos im Internet:
www.hsg-eberbach.de