Fachtag der Johannes-Diakonie Mosbach griff das Thema „Schattenseiten der Sexualität“ auf
„Schattenseiten der Sexualität“ lautete das Thema des Fachtages der Johannes-Diakonie Mosbach, bei dem sich mit Grußworten, Einführungen und Vorträgen einbrachten (v.l.): Richard Lallathin, Barbara Schäfer-Wiegand, Jörg Huber, Lucyna Wronska und Volker Schmidt. (Foto: privat)
Mosbach. (pm) Sexuelle Gewalt war bis vor Kurzem meist ein Tabu. Heute ist sie in den Medien allgegenwärtig und wird in verschiedenen Institutionen kontrovers diskutiert. Kommt sexuelle Gewalt ans Tageslicht, erschreckt und bestürzt sie. Sie zeigt sich in allen Lebensbereichen, sozialen Schichten und Altersstufen. Ihr insbesondere gegenüber Menschen mit Behinderung vorzubeugen, war das Ziel eines Fachtages der Johannes-Diakonie in der Mosbacher Johanneskirche. Während der Fachtag im letzten Jahr unter dem bejahenden Titel „Liebe macht schön“ stand, erörterten rund 50 Fachkräfte für und Angehörige von Menschen mit Behinderung jetzt das Thema „Schattenseiten der Sexualität“.
Als hilfreiche Zurüstung für die Auseinandersetzung mit dem sensiblen Thema der sexuellen Gewalt verstand Grußwortredner Jörg Huber, pädagogischer Vorstand der Johannes-Diakonie Mosbach, die Fachveranstaltung. Dieser Gewalt könne nur etwas entgegengesetzt werden, wenn über sie offen diskutiert werde, schloss sich hieran Sexualpädagoge und Heilerziehungspfleger Volker Schmidt an. „Möge der Fachtag dazu beigetragen, dass wir achtsamer werden, wo Lebensrechte und Lebensfreude beschädigt werden“, war das Anliegen von Pfarrer Richard Lallathin. Zusammen mit Schmidt leitet er die Arbeitsgruppe der Johannes-Diakonie „Liebe, Partnerschaft und Sexualität bei Menschen mit Behinderung“, die auch den Fachtag ausrichtete.
Die Erfahrung von Barbara Schäfer-Wiegand ist, dass das Thema sexuelle Gewalt in der Politik gemieden wird. Auch darüber berichtete die frühere baden-württembergische Landesministerin für Arbeit, Gesundheit, Familie und Frauen sowie ehemalige Verwaltungsrätin der Johannes-Diakonie im ersten Vortrag. Der Aufschrei in den Medien aber habe Politiker aufgeweckt. Allerdings verzerrten Medien das Gesellschaftsbild. Denn Gewalt überwiege in der Familie und nicht in anderen Lebensräumen. Gegen sexuelle Gewalt hätten Institutionen verschiedener Bereiche und Ebenen stärker zusammenzuarbeiten, forderte Schäfer-Wiegand. Niederschwellige Therapieangebot müssten nicht nur für tatsächliche, sondern auch für potentielle Täter ausgebaut werden. Denn mehr als die Hälfte aller Sexualstraftäter hätten zuvor Hilfe gesucht, aber nicht gefunden. Für Schäfer-Wiegand ist Tätertherapie gleich Opferschutz.
Dass Menschen mit geistiger Beeinträchtigung von sexueller Gewalt überdurchschnittlich oft betroffen seien, darauf wies Lucyna Wronska in ihrem Vortrag hin. Allgemein sei es schon schwierig, über Sexualität zu sprechen. Für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung wäre es darüber hinaus problematisch, Ängste und Hilflosigkeit zu verbalisieren, so die Psychologin und Psychotherapeutin. Je mehr ein Mensch mit Beeinträchtigung über sich selbst bestimmen könne, desto eher seien sexuelle Übergriffe zu verhindern. Bei dem Wechsel von der Opfer- zur Täterperspektive machte sie aber eine Unstimmigkeit aus: „Wie kommt es, dass dem ansonsten für verhältnismäßig unmündig erklärten Menschen mit Behinderung unvermittelt die ganze Verantwortung oder gar keine Verantwortung für grenzverletzendes Verhalten aufgebürdet wird?“
Vertieft wurden die Inhalte des Fachtages in den anschließenden Workshops, zum Beispiel zum Thema „Handlungsleitfaden für Fachkräfte bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch“ und „Schwanger – was nun?“. „Es gibt oft nicht ein Entweder-Oder“, fasste Lallathin die verschiedenen Perspektiven auf die Schattenseiten der Sexualität abschließend zusammen. „Wichtiger ist zu fragen“, so stellte die Fachveranstaltung für ihn heraus, „wo helfend, beratend und therapeutisch begleitet – oder besser: wo vorbeugend gehandelt werden kann.“