Botschafter Odenwälder Weihnachtsbrauchtums
Das Schloßauer Christkind im Jahr 1919 unter einem Brautschleier. (Repro: Müller)
Schloßau. (tm) Das Weihnachtfest ist sicherlich das Ereignis im Jahreslauf, zu dem sich über die Jahrhunderte weltweit der meiste Brauchtum entwickelte. In Deutschland, und hier speziell im Odenwald, tat sich besonders das Christkind mit seinen Begleitern als Figur zur Weihnachtszeit hervor, wobei sich dieses “Christkindlesspiel“ häufig in unterschiedlicher Art und Weise entwickelte und heute von Dorf zu Dorf durch ganz individuelle Traditionen und Gepflogenheiten geprägt ist.
Die Geburtsstunde des Christkindes als weihnachtliche Figur geht auf Martin Luther, also in die Mitte des 16. Jh. zurück und wurde für die evangelischen Christen als Ersatz für Sankt Nikolaus eingeführt, der vor allem von Katholiken zur Weihnachtszeit verehrt wurde. Hieraus entstand schließlich religionsunabhängig ein Brauchtum ums Christkind, wobei sich seit der Zeit steigender Industrialisierung auch das Beschenken der Kinder mit entwickelte. Waren es zu Anfang noch selbstgebasteltes Spielzeug und Weihnachtsplätzchen oder getrocknetes Obst, so folgten allmählich Puppen, Kaufläden, Schaukelpferde, Dampfmaschinen und Eisenbahnen. Heute sind es vor allem Laptops, Handys, Spielekonsolen und Digitalkameras, die sich unter dem Christbaum wiederfinden. Man folgt eben auch diesbezüglich dem Wandel der Zeit.
Ein dokumentierter „Christkindlesbrauch“ lässt sich vielerorts seit etwa 1900 nachvollziehen. Gerade in den Dörfern rund um Mudau, hat sich diese Tradition mit kleinen aber feinen Eigenheiten durchgesetzt. So steigt in Mörschenhardt das Christkind der Überlieferung nach, mit einer langen Leiter am Hohen Stein vom Himmel herab und beschert die Kinder im Dorf. Danach steigt es von diesem Stein aus bis zum nächsten Jahr wieder in den Himmel hinauf. In Reisenbach trug ein weiß gekleidetes Mädchen über viele Jahrzehnte einen Schleier und eine bunt funkelnde Brautkrone, das „Schäppeli“, was auch für einige Jahre von Schloßau in gleicher Form bekannt ist. Zudem wurde das Reisenbacher Christkind in früherer Zeit von einem achtbeinigen Schimmel begleitet. Dieser wurde von zwei Mädchen unter einem Leinentuch dargestellt. Diese Art des Christkindlesspiel, allerdings in Begleitung eines Esels, ist von zahlreichen Odenwalddörfern überliefert. Allmählich zog das Christkind jedoch an Heiligabend ohne Esel durch die Dörfer, da mit steigendem Wohlstand und dem besser werdenden Wohnkomfort, die Hausfrauen nicht mehr so viele Fußabdrücke und keinen unnötigen Schneematsch in ihren Stuben haben wollten. Die vom Esel mitgeführten „Holzfüße“ machten „Radau“ beim Eintritt ins Weihnachtszimmer, sorgten hierdurch aber auch gerne für ungeliebte Abdrücke auf den besser werdenden Böden. Der Esel musste häufig draußen bleiben und so verschwand er allmählich als Begleiter des Christkindes.
Gerade die Schloßauer Christkindtradition entwickelte sich zu einem Markenzeichen des Dorfes und wurde in der Zeit des Wirtschaftswunders sogar über seine Grenzen hinaus bekannt. Hierbei gab es im Schloßauer Oberdorf und im Unterdorf je ein Christkind. Die Grenze wurde durch den Schloßauer Bach gebildet. Je nach „Auftragslage“ (angemeldete Hausbesuche), konnte diese Grenze nach einvernehmlicher Absprache der beiden Gruppen, auch verschoben werden. Interessant ist, dass die Gaststätte Hirsch, direkt an der Schloßauer Bach gelegen, im jährlichen Wechsel vom Oberdorf- und vom Unterdorfchristkind aufgesucht wurde.
Seine Blütezeit erlebte die Schloßauer Christkindtradition vor 50 Jahren, als an Heiligabend noch mehrere Dutzend Häuser zu besuchen waren. Im Oberdorf war bis zu dieser Zeit auch noch der beschriebene Esel dabei, beim Unterdorfchriskind verliert sich seine Spur mit dem Zweiten Weltkrieg. Zur Vorbereitung des Christkindlesspiels, kamen die Schloßauer Mädchen der Abschlussklasse aus der Volks- bzw. Hauptschule, im Alter von etwa 15 Jahren in der Vorweihnachtszeit zusammen, um zunächst die Rollenverteilung festzulegen oder im Streitfall auch auszulosen. Danach wurden die Weihnachtslieder und Texte ausgewählt und kurz einstudiert. Bis in die 1980er Jahre, musste für jeden besuchten Haushalt auch noch eine Rute aus Birkenreisig („Birkenzinke“) beschafft werden, wobei hierbei Rentner und ehemalige Besenbinder halfen. Die Tradition mit der Rute geht darauf zurück, dass einige sanfte Züge auf Kopf und Schulter Glück und Segen bringen sollen. Je eine Rute blieb dann in den Haushalten zurück. Auf Begrüßung, Gesang und einigen tadelnden, sowie lobenden Worten, folgte die Bescherung der Kinder durch das Christkind und seinen Begleiterinnen, bevor die Mädchen wieder das Haus verließen und weiterzogen. So manchem Mädchen, das als Begleiterin des Christkindes dabei war, machte bei besonders kalten Weihnachtsabenden auch erstmals Bekanntschaft mit wärmenden Likören und Schnäpsen, was nicht selten zu Textunsicherheiten bei den letzten Haushalten führte. Bei den Eltern der kleinen Kinder war der Unmut groß, wenn ihre Kinder ungeduldig am festlich geschmückten Christbaum warteten, die Christkind-Mädchen aber eisern auf ihrem Weg durch das Dorf blieben und somit die abgelegenen Häuser sehr spät aufgesucht wurden. Auch die Christmette durchkreuzte den Terminplan der Eltern immer wieder. Heute, im Zeitalter der Mobilität und zurückgehender Kinderzahlen, ist die Auftragslage deutlich zurückgegangen und es gibt auch nur noch ein Christkind für ganz Schloßau. Der Ortsteil Waldauerbach hatte hingegen schon immer sein eigenes Christkind.
Auf die Schloßauer Christkindtradition wurde auch der „Sender Freies Berlin“ (SFB) aufmerksam, der im Jahr 1964 eine Dokumentation über Weihnachtstraditionen drehte. Er fragte bei der damals noch selbständigen Gemeinde Schloßau an, ob an Heiligabend das Christkindlesspiel gefilmt werden darf. Als Bedingung forderte das Fernsehteam ein „erfahrenes“ Christkind, sodass die Vorjahreskinder nochmals zum Einsatz kamen. Zudem wurden für den Auftritt die Gruppen vom Ober- und Unterdorf gemischt, inklusive dem beschriebenen Esel. Dies ist auch der Grund, warum im Jahr 1963 und 1964 die gleichen Mädchen als Christkind auf Bildern zu sehen sind. Als Kulisse für die Szene, wurde das Haus von Friedrich Benig in der Dorfmitte ausgewählt, da es eine hohe Eingangstreppe für die Darstellung des Einzugs hatte. Die Mädchen, samt Esel, mussten etwa zehnmal die Außentreppe hoch, dann in die gute Stube eintreten und dort ihr Spiel vortragen. In der guten Stube war es sehr warm, draußen hingegen bitter kalt. Um das hellbeleuchtete Haus harrten zahlreiche Schaulustige Schloßauer Bürger aus und verfolgten die Dreharbeiten des Fernsehteams. Erst im Jahr darauf konnte schließlich der Filmausschnitt zur Weihnachtszeit bewundert werden. Hierzu versammelten sich die Beteiligten in der Gaststätte Grüner Baum, vor einem der noch wenigen Fernseher im Dorf. Dort verfolgten sie gespannt den etwa fünf minütigen Beitrag. Leider ist dieser, trotz intensiver Archivsuche, nicht mehr auffindbar und Video- bzw. DVD-Aufnahmen wurden erst Jahre später Wirklichkeit.
Heute trägt das Christkind ein eigens geschneidertes weißes Kleid. Es wird auch heuer mit seinen beiden Begleiterinnen wieder sein Spiel in den Häusern zeigen. Anmedungen sind wie üblich im Schloßauer Kindergarten möglich. Bleibt zu hoffen dass dieser noch lange einen festen Bestand im Dorfleben hat, denn dann gehen auch dem Schloßauer Christkind die Aufträge nicht aus…