Kreisgrüne luden zu Europa-Diskussion mit MdEP Dr. Franziska Brantner – Kritik an deutscher EU-Politik
Neckar-Odenwald-Kreis. (pm) Ursprünglich gegründet im Sinne der Friedenssicherung in Europa und getragen vom Gedanken der Völkerverständigung und Aussöhnung wird die Europäische Union von der Bevölkerung heutzutage vielfach nur noch als Finanz- und Wirtschaftsgemeinschaft wahrgenommen. Schuldenschnitt und Pleitestaaten, Jugendarbeitslosigkeit im Süden, Ausspähung durch Großbritannien, antideutsche Stimmung in Griechenland, Ungarn auf demokratischen Abwegen – viel Negatives bestimmt zurzeit die Meldungen zu Europa und drängt frühere Visionen in den Hintergrund.
Welche Zukunft hat Europa, welche Zukunft hat Deutschland in Europa? Hans-Detlef Ott, Grüner Kreisvorsitzender und Bundestagskandidat im Wahlkreis Odenwald-Tauber, begrüßte zu diesem vielschichtigen Thema in Mosbach mit Dr. Franziska Brantner die bündnisgrüne Europaabgeordnete der Metropolregion, die sich engagiert für die europäische Idee einsetzt und aktuell in Heidelberg um ein Bundestagsmandat bewirbt. „Was drängt eine überzeugte Europäerin zu einem Wechsel vom Europaparlament in den Bundestag?“ fasste Ott gleich zu Beginn die politischen Ebenen in seiner Fragestellung zusammen, die Dr. Brantner in der nachfolgenden lebhaften Diskussionsrunde dann ebenso umfassend wie deutlich beantwortete.
Zunächst stellte sie die „Euro-Krise“ thematisch wieder auf die Füße, denn wie die Europaabgeordnete betonte „Der Euro als Währung steckt nicht in der Krise“. Ganz im Gegenteil – der Euro habe sich zwischen Yen und Dollar als feste Größe auf dem Weltmarkt etabliert und stabilisiere so auch den deutschen Im- und Export. Vielmehr handele es sich um Krisen in den einzelnen Ländern und insbesondere um Probleme im Umgang mit diesen Krisen, die sich seit der Finanzkrise 2008 (Zusammenbruch „Lehman Brothers“) angehäuft haben. Deutschland hat seitdem unter der Regierung Merkel fast zum Nulltarif weitere 500 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen und den deutschen Schuldenberg auf schwindelerregende 2,1 Billionen Euro vergrößert – von Rückzahlung ist bisher keine Rede. Weniger verschuldete EU-Länder wie Irland oder Spanien stolperten dagegen im Rahmen der 2008 notwendig gewordenen Bankenrettung durch hohe Zinssätze bei der Geldbeschaffung in die Schuldenfalle. Anders sei die Situation in Griechenland, wo falsch angelegte Finanzprogramme zu wirtschaftsschädliche Entwicklungen geführt hatten, unterstrich Dr. Brantner.
Eine Europäische Bankenunion soll nun die „Vergesellschaftung“ der Bankschulden durchbrechen. Als erster Schritt sei dafür die Bankenaufsicht zu „europäisieren“. Angesiedelt bei der europäischen Zentralbank werde das Risikopotenzial von Banken eingeschätzt, um gegebenenfalls Schließungen einzuleiten. In einem zweiten Schritt müssten Regelungen für eine geordnete Bankeninsolvenz sowie eine gemeinsame Bankenhaftung geschaffen werden. Zwar habe das Europaparlament diesen Vorhaben bereits zugestimmt, ihre Umsetzung wie ein gemeinsamer Fonds zur Risikobeteiligung der Banken werde nun aber von Deutschland im Verbund mit der Banken-Lobby blockiert, übte die Europapolitikerin Kritik an der Bundesregierung. In der Folge stehe für drohende Insolvenzen wie in Griechenland kein geeigneter Maßnahmenkatalog zur Verfügung.
Die Vorgabe und Überwachung der Reformen in den europäischen Krisenländern erfolgt derzeit durch die „Troika“ aus Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank und EU-Kommission. Bei dieser Vorgehensweise werde das demokratisch gewählte Europaparlament systematisch ausgeklammert, bemängelte Dr. Brantner und wies auch darauf hin, dass manche Troika-Forderung wie beispielsweise die Privatisierung der Wasserversorgung in Portugal herrschendem europäischem Recht widerspreche. Zudem würden alle Rettungsmechanismen außerhalb der europäischen Verträge, das heißt auch hier ohne Kontrolle durch das Parlament verhandelt. Die Europaabgeordnete regte an, die Troika abzuschaffen und die Kompetenzen an die EU-Kommission zu übertragen, die ihre Beschlüsse wiederum vor dem EU-Parlament rechtfertigen müsse.
Auch beim Thema Steuern zeigte sich Franziska Brantner unzufrieden mit der aktuellen deutschen Bundespolitik. Durch legale Steuersparmodelle geht in Europa jährlich etwa eine Billion Euro verloren. Frankreich erhebe nun eine Transaktionssteuer für Überweisungen über 250.000 Euro in bekannte Steueroasen, führte die Europaabgeordnete als Beispiel an. Doch auch hier vermisst sie vergleichbare Maßnahmen der Bundesregierung, um dem verschuldeten Staatshaushalt die dringend notwendigen Steuereinnahmen zuzuführen.
Die aktuelle Europapolitik sei durchaus nicht – wie oft behauptet – „alternativlos“. Die EU habe vielmehr zahlreiche alternative Konzepte, die von den nationalen Regierungen nur aufgegriffen und umgesetzt werden müssten. Wer den Euro auf Dauer als starke Währung behalten wolle, müsse dementsprechend aber auch für eine Fiskalunion stimmen, das heißt nationale Kompetenzen an die europäische Ebene abgeben. Weiterhin seien Regularien notwendig, um die Einhaltung der Menschenrechte in den EU-Ländern auch während ihrer Mitgliedschaft weiterhin zu überprüfen und Verletzungen mit entsprechenden Sanktionen zu ahnden.
Franziska Brantner warb für einen „europäischen Wettbewerb der Ideen“: Für welche Werte steht die EU? Was wollen wir auf europäischer Ebene durchsetzen? Wie erreichen wir die dafür notwendigen Mehrheiten? Die Lösung liege dabei weniger in der „einen großen Idee“. So vielfältig wie die Krisen müssten auch die Ideen für ihre Bewältigung sein.
Der Schlüssel für eine veränderte Europapolitik liege derzeit hauptsächlich in Berlin, was ihr Streben nach einem Bundestagsmandat umfänglich begründe, beantwortete Dr. Brantner abschließend die einleitende Fragestellung von Hans-Detlef Ott. Durch einen Regierungswechsel könne auch die aktuelle deutsche Blockadehaltung aufgehoben und Europa zukunftsfähig gemacht werden.