Arbeitskreis „Mosbacher Bildungsgespräche“ organisierte hochkarätige Gesprächsrunde
In angeregter Atmosphäre vor der Veranstaltung im Gespräch (von links nach rechts): Prof. Gabi Jeck-Schlottmann, Ministerin Theresia Bauer, Prof. Hans Peter Klein, Christine Denz und Richard Zöller. (Foto: Brunhild Wössner)
Mosbach. (brw) Ministerbesuche werden von den Ministerialressorts zumeist möglichst ausgewogen über das Land verteilt. Sowohl das Thema als auch die Zusammensetzung des Podiums haben Theresia Bauer nach eigenem Bekunden gleichermaßen interessiert, so dass sie sich über das Gesetz hinwegsetzte und jetzt zum zweiten Mal binnen vier Wochen in Mosbach zu Gast war. Anlass war die vom „Arbeitskreis Mosbacher Bildungsgespräche“ organisierte Gesprächsrunde zum brisanten Thema „Bildung für Alle? Hochschule für alle? Der nahtlos holprige Übergang zum Studium“. Gemeinsam mit ihr im Expertenforum saß als renommierter Gast Prof. Dr. Hans Peter Klein von der Frankfurter Goethe-Universität. Dieser ist zudem Geschäftsführer der Gesellschaft für Bildung und Wissen und Lehrstuhlinhaber für Didaktik der Biowissenschaften und begleitet die Bildungsentwicklung in Deutschland seit langem durchaus kritisch. Der Bildungsexperte beklagt den „Akademikerwahn, der gepaart ist mit einer zunehmenden Zahl an nicht studierfähigen Abiturienten, denen im Zuge der den Schulen verordneten Kompetenzorientierung die notwendigen Basics fehlen“.
Im Neckar-Odenwald-Kreis gelingt das Kunststück, dass der Grüne Kreisverband und der Philologenverband Baden-Württemberg alljährlich einen hochkarätig besetzten Gesprächsabend zum Thema „Bildung“ zu veranstalten. Dies ist deshalb bemerkenswert, weil die grüne Regierungspartei und der Lehrerverbund durchaus nicht immer „ein trautes Paar sind“, wie Richard Zöller in seiner Begrüßung ausführte. Das Podium im Audimax komplettierte die Hausherrin der DHBW Mosbach, Rektorin Prof. Dr. Gabi Jeck-Schlottmann. Und als „Überraschungsgäste“ konnte Christine Denz vom Kreisverband der Grünen den Präsidenten der DHBW Prof. Reinhold Geilsdörfer und MdB Dr. Dorothee Schlegel im Publikum begrüßen. Gabriela Fischer-Rosenfeld moderierte Gespräch und anschließende Diskussion.
Bauer bezog als erste Position und stellte fest, dass der Hochschulabschluss immer noch der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit und ein Garant für gute Einkommensperspektiven sei. Sie erteilte den Systemkritikern eine Absage, die Zugangsvoraussetzungen an die Universitäten erschweren und weniger in akademische Bildung investieren wollen. Denn in ganz vielen Bereichen, etwa in der Automobilbranche, aber auch der frühkindlichen Erziehung, würden heute ganz andere Anforderungen gestellt als noch vor 20 Jahren. Besonders wichtig sei, auf eine gute Balance zwischen akademischer und beruflicher Bildung zu achten. Die Ministerin plädiert dafür, „die traditionelle Abgrenzung zwischen akademischer und beruflicher Bildung zu überwinden und in beide Richtungen durchlässiger zu machen“.
Der Frankfurter Bildungsexperte verwies wie seine Vorrednerin darauf, dass es mit dem Numerus Clausus für bestimmte Fächer bereits starke Beschränkungen bei der Hochschulzulassung gäbe. Klein setzte sich kritisch mit der Diskrepanz zwischen fachbezogener und prozessbezogener Kompetenz auseinander, die heutzutage die Maßstäbe an den Gymnasien setzen. Als ein wesentliches Übel bewertet er das Zentralabitur. Es sei bezeichnend, dass die Schülerschaft in den von ihm untersuchten Ländern Hamburg, Bremen, Hessen und Berlin verbreitet bereuen, dass sie für Abituraufgaben im Fach Biologie überhaupt den Unterricht besucht haben. Kein Wunder, denn diese könne nach Auffassung von Klein jeder Siebtklässler lösen. An der Hochschule erfolge danach ein böses Erwachen.
Beim Gymnasium bestehe Handlungsbedarf. Angegangen werden müssten vor allem Defizite bei der Mathematik, er empfindet es als Unding, dass man dieses Fach heutzutage mit einer Präsentationsprüfung bestehen könne. Hohe Durchfallquoten seien in den quantitativ ausgerichteten Fakultäten die Folge. Das dezentrale Bildungssystem sei ungerecht. In Hamburg eine Eins und die NC-Fächer stünden einem offen, wer eine Zwei in Sachsen hat, bleibe außen vor, obwohl er die Materie im Gegensatz zum Hamburger beherrsche. Auch Jeck-Schlottmann verspürt zumindest gewisse Anzeichen für schulisches Notendumping. Die Wissenschaftsministerin bekräftigte sich zu den Standards an den Hochschulen. Allerdings müssten sich die Hochschulen auf Bildungsbiographien der Studierenden verstärkt einstellen.
Die Mosbacher Rektorin sieht ebenfalls zunehmende Abbrecherquoten. Um dem zu begegnen setze man beträchtliche Geldbeträge ein, etwa zur Unterstützung der Studenten durch zusätzliche Mathematikkurse. Inzwischen erhält fast ein Fünftel der Mosbacher dualen Studenten Unterstützung für den Studieneinstieg. Als die beste Voraussetzung für einen Studieneinstieg nannte Jeck-Schlottmann „Interesse und Neugierde“, nicht hilfreich seien dagegen „Kuschelnoten“.
Danach wurden in der Fragerunde gleich mehrere heiße Eisen angefasst. Dabei ging es um Konzepte für verunsicherte Studienabbrecher, frustrierte und überforderte Fünftklässler nach Wegfall der Grundschulempfehlung. Aber auch zur Frage, ob das acht- oder neunjährige Gymnasium das richtige Modell ist, um „Bulimielernen“ oder Studienverschulung kamen Rückmeldungen und Anregungen aus dem überaus fachkundigen Publikum. Am Ende wertete Theresia Bauer es als „als ein gutes Signal“, dass die Bildungspolitik so wichtig sei, dass sie sogar mit wahlentscheidend im Land sein könne.