(Foto: Liane Merkle)
Eberstadt. (lm) Unter dem Titel „Buchen gedenkt“ wurde ein neues Erinnerungskonzept zur Würdigung der Opfer des NS-Regimes vorgestellt. Die Veranstaltung fand in der ehemaligen Synagoge in Eberstadt statt und lockte zahlreiche Interessierte an, die den Saal bis auf den letzten Platz füllten.
Die Vorstellung beeindruckte durch ihre Authentizität und vor allem durch die Präsentation der Lebensgeschichten zweier NS-Opfer, Susanna Stern aus Eberstadt und Marie Wolf aus Buchen. Künftig können diese Biografien sowohl auf der neuen Internetseite des Projekts als auch an Gedenktafeln mit QR-Codes an den Wohnorten der beiden Opfer in Buchen und Eberstadt gelesen werden.
Würdigung und Mahnung durch Bürgermeister und Landrat
Landrat Dr. Achim Brötel und Bürgermeister Roland Burger würdigten die Idee und betonten die Bedeutung des Gedenkens, insbesondere in einer Zeit, in der laut Umfragen etwa jeder fünfte Deutsche zu einer rechtsextremen Partei tendiert. Dr. Brötel und Bürgermeister Burger verwiesen darauf, dass selbst im beschaulichen Buchen rund 100 Menschen – darunter Juden, Sinti, Roma, psychisch Erkrankte und Zwangsarbeiter – zu Opfern des NS-Regimes wurden. Einig waren sich beide darin, dass das Gedenken an die NS-Verbrechen heute wichtiger denn je sei.
Die Initiatoren hinter dem Konzept berufen sich auf die Worte des ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck: „Zwar sind wir für unsere Vergangenheit nicht verantwortlich, für den Umgang mit ihr aber allemal.“ Dr. Brötel hob hervor, dass das neue Konzept offen und nie abgeschlossen ist und auf die Mitwirkung der Gesellschaft setzt. Dadurch lädt es zur beständigen selbstkritischen Hinterfragung der eigenen Haltung ein.
Authentische Gedenkorte im öffentlichen Raum
Das Konzept wählt bewusst authentische Orte im öffentlichen Raum, die als leicht zugängliche Gedenkorte dienen. Über QR-Codes an den Tafeln erhalten Interessierte vertiefende Informationen zu den Lebensgeschichten der Opfer. So verbindet das Projekt Gedenkorte und Gedenkworte und schafft dadurch ein lebendiges, allgegenwärtiges Mahnmal in Buchen.
Dr. Brötel erklärte, dass es Buchen gelungen sei, ein mehrdimensionales Gedenken auf verschiedenen Ebenen zu etablieren, das eine tiefe Verpflichtung zur Erinnerung vermittelt. Die Namen der bisher bekannten Opfer wurden bereits 2015 in einem Gedenkbuch von Stadtarchivar Tobias-Jan Kohler festgehalten. Erste Lebensgeschichten sind nun auf der neuen Gedenkseite veröffentlicht, und Gedenktafeln wurden an den früheren Wohnorten der Verstorbenen angebracht.
Einbezug von Nachfahren und Schülern
Stadtarchivar Kohler stellte das neue Konzept anhand der Biografien von Susanna Stern und Marie Wolf vor. Durch die Mitwirkung von Nachfahren, engagierten Bürgern und Schülerinnen der Helene-Weber-Schule soll das Projekt fortlaufend ergänzt werden. So konnte Albert Lester, gebürtiger Buchener und ehemaliger Albrecht Levi, die Geschichte seiner Tante Marie Wolf in einem Video-Clip dokumentieren.
Lester, der noch im Oktober 2023 Buchen besuchte, verstarb kürzlich im Alter von 96 Jahren in London (NZ berichtete). Die tragische Geschichte von Susanna Stern, die vor 86 Jahren von einem jungen Nachbarn ermordet wurde und deren vier Söhne durch das NS-Regime starben, wurde von Schülerinnen der Helene-Weber-Schule im Rahmen eines Politik- und Gesellschaftskurses erarbeitet.
Verantwortung zur Erinnerung
Bürgermeister Burger betonte, dass es die Verantwortung der heutigen Generation sei, die Erinnerung an die Schrecken der NS-Zeit wachzuhalten, auch wenn sie nicht die Schuld daran trage. „Wir tragen die Verantwortung, daran zu erinnern, dass so etwas nie mehr passiert,“ erklärte er. Die Bevölkerung ist eingeladen, sich aktiv am Projekt zu beteiligen, und Stadtarchivar Tobias-Jan Kohler steht als Ansprechpartner zur Verfügung.
Ergänzung der bisherigen Gedenkkultur
Kohler erinnerte an die bestehenden Formen des Gedenkens in Buchen, darunter die Benennung von Straßen nach Opfern, die Gründung der „Stiftung Bücherei des Judentums“, historische Forschungen, Ausstellungen sowie Gedenk- und Mahnmale. Diese vielfältige Erinnerungskultur wird nun durch die neue Website „buchen-gedenkt.de“ und die Gedenktafeln erweitert. Die Tafeln bestehen aus rostfarbenem Stahl und tragen einen weißen QR-Code, der die Lebensgeschichte und Wohnorte der jeweiligen Personen vermittelt. Da die Gedenkseite regelmäßig aktualisiert wird, lohnt sich ein wiederholter Besuch.
Erinnerung an das jüdische Erbe in Buchen
Das Datum der Veranstaltung, der 11. November, erinnert auch an den jüdischen Mitbürger und Komponisten Jakob Mayer, der in Buchen sehr geschätzt war und von den Nazis in den Freitod getrieben wurde. Die Stadt betont, dass jüdisches Leben, Denken und Fühlen fest im Stadtleben und kollektiven Gedächtnis verankert sind.
In Anlehnung an Dietrich Bonhoeffer schloss die Veranstaltung mit der Aussage: „Mag sein, dass morgen der jüngste Tag anbricht. Dann wollen wir gern die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen – vorher aber nicht.“
Ein geselliges Beisammensein im Eberstadter Farrenstall, bei dem Erinnerungen geteilt und weitergetragen wurden, unterstrich die positive Lebenseinstellung und die Bedeutung des jüdischen Erbes für Buchen.