Kriegsende – Einmarsch der Amerikaner

Kriegsende – Einmarsch der Amerikaner
Kriegsende – Einmarsch der Amerikaner

Der Mudauer Bahnhof wurde beim Einmarsch der Amerikaner schwer beschädigt. Heinrich Köhler beobachtete als Zeitzeuge die Einnahme von Mudau. (Repro: Slama)

HVV Mudau besucht historische Orte

Von Hans Slama

Mudau. Augenzeugenbericht von Dr. Heinrich Köhler, ehemaliger badischer Finanzminister, Staatspräsident, Reichsfinanzminister, späterer Präsident der Landesverwaltung und stellvertretender Ministerpräsident von Württemberg-Baden.

Warum war er in Mudau? Ein naher Verwandter war Kaplan in Mudau und Pfarrer Ackermann hielt seine schützende Hand über ihn, was schwer genug war. Hatte er sich doch mit der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) wegen dem abendlichen Beten an der Mariensäule, dem „Bild“ angelegt.

So kam Köhler dem der Pfarrei gehörenden Café Link in der Langenelzer Straße unter. Gegenüber lebte der Mudauer Ortsgruppenleiter, oberster Nazi der Gemeinde.

Heute, 80 Jahre später, interessieren sich die Menschen für das Wetter. Damals wohl eher nicht, denn amerikanische Soldaten standen bei bewölktem Himmel und leichtem regnerischem Wetter an der Gemeindegrenze. Dem Augenzeugenbericht von Dr. Heinrich Köhler, der in Karlsruhe vor den Nazis flüchten musste und in Berlin ausgebombt wurde hatte 1943 in Mudau Zuflucht gefunden.

Es folgt der auszugsweise der Bericht von Dr. Köhler: In den vergangenen Wochen wurden für angeblich zurückzuverlegende Lazarette – das Parteihaus, das Schulgebäude und ein Wirtshaussaal vorgesehen. Plötzlich änderte sich das Bild. Vom Lazarett war keine Rede mehr. Dagegen humpelten und schleppten sich immer mehr deutsche Soldaten zum Teil in bejammernswertem Zustand auf der Landstraße dahin.

Da saßen sie nun an den Rändern der Landstraßen, diese armen Kriegsopfer, die „Ehrenbürger der Nation“ und kamen nicht mehr weiter vor Hunger und Erschöpfung. Besonders mit Entrüstung sei es festgestellt – „Parteigenossen“ benahmen sich dabei schmachvoll, während andere sich in vorbildlicher Gastfreundschaft betätigten.

Seit Palmsonntag, 25. März 1945, kamen nun zu den Kriegsopfern die Angehörigen der aufgelösten Etappenstationen der Organisation Todt (OT), des männlichen und weiblichen Arbeitsdienstes, die, teilweise unter Mitführung geschminkter Französinnen, die Straßen noch mehr füllten.

Dazu kamen ganze Trupps meist vagabundierender Soldaten, Massen armer Flüchtlinge, Menschen aus allen sozialen Klassen, hohläugig und beschmutzt vom Straßendreck und hungrig, hungrig über allen Maßen. Immer zahlreicher zeigten sich die meist in zerlumpter Kleidung und in körperlich heruntergekommenen Zustand daherkommenden "Fremdarbeiter", in der Hauptsache Russen, aber auch viele Franzosen, Belgier, Polen usw. Wahrlich ein Bild des Jammers.

Die Bilder auf den Straßen werden immer trostloser. Im mehr unbewaffnete Soldaten tauchen auf. Die Diebstähle mehren sich. Am Donnerstag ging es ganz toll zu. Im benachbarten Ernsttal hatte die SS seit Monaten ein gewaltiges Lager von Lebensmitteln aller Art und, als Attraktion, Hunderttausende von feinster französischer Liköre und Cognacs angesammelt, das in der Vergangenheit die Unterlage wüstester Zechereien der SS in der ganzen Umgebung war.

Jetzt begannen die durchziehenden Soldaten, die Lager zu plündern. Unzählige Kisten der wertvollen Getränke wurden auf hochbeladenen Wagen abtransportiert. Durchziehende Soldaten betranken sich sinnlos und wankten so durch die Gegend.

Gegen Abend treffen deutsche Abteilungen mit Geschützen hier ein, die meist ihrer Kriegsmüdigkeit Ausdruck geben. Ich bin über die Entwicklung aufs tiefste erschüttert und höre die Reden schweigend an. Armes Vaterland!

Karfreitag, 30. März 1945: die Nacht verläuft ruhig. Am Waldrand sind deutsche Geschütze aufgebaut. Auch am Bahnhof Mudau, 50 Schritte von unserer Pension entfernt, wird ein Flak-Geschütz aufgestellt. Wie ein Soldat uns erklärt, sei der Feind im Anrücken von Scheidental und Schloßau. Aus Reisenbach und Scheidental waren Schäden an Gebäuden und Vieh zu vermelden.

Köhler berichtet weiter: "Die telefonische Verbindung zum Pfarrer ergab, dass die Peilstation bereits gestern abgerückt und die ganze Stellung gesprengt wurde. Der Feind sei in der Nähe.

Wir entschließen uns zum Schutz für den gewölbten Keller im Pfarrhaus. Um halb 11 Uhr sagte der Pfarrer von Schloßau telefonisch, der Feind nähere sich jetzt dem Ort, er selbst gehe nun in den Keller.

Da jeder Widerstand angesichts der Überlegenheit der Feinde erfolglos gewesen wäre, hatte die Bevölkerung von Mudau ihn abgelehnt. Durch die Unnachgiebigkeit der Parteileitung ist es dann doch zur Verteidigung gekommen.

Die Kämpfenden kamen immer näher gegen Mudau. Artillerie- und Maschinengewehrfeuer verstärkten sich ständig. Im enggedrängten mit Menschen gefüllten Pfarrkeller gab der Pfarrherr die Generalabsolution. Unter Rosenkranzgebet und dem Absingen von Marienliedern verlief die Zeit, während der Geschosslärm immer stärker anwuchs.

Da, um 12.10 Uhr, verstummte plötzlich aller Lärm. Ich ging aus dem Keller und beobachtete die deutschen Pakgeschütze, die sich durch die Ortsstraße nach rückwärts bewegten. Alsbald begab ich mich zu ihnen und fragte die Soldaten, was das zu bedeuten habe, bekam aber keine Antwort.

Dann erklärte mir ein Mann im Führerauto, das Gefecht stehe jetzt. Ich: „Ja, ist der Amerikaner schon durch Schloßau?“ Er: Wahrscheinlich. Wir führen ein hinhaltendes Gefecht und ziehen uns jetzt auf eine andere Stellung zurück.“ Der Feind rücke bei Oberscheidental und Donebach weiter vor.

Im selben Augenblick krepierte neben mir eine Granate. Schnell sprang ich in das nahegelegene „Hotel Engel“, das jetzige Parteihaus der Nazis, und ging in den Keller. Auch hier saßen viel verängstigte Menschen dicht gedrängt nebeneinander.

Jetzt begann ein Artilleriebombardement, das in unserer nächsten Nähe den Kirchturm schwer beschädigte, ebenso die letzte, aus dem 17. Jahrhundert stammende Glocke zerstörte (vermutlich von der Wehrmacht).

Weitere Einschläge trafen die Apotheke und weitere Häuser. (Anm.: Vom am Bahnhof aufgestellten Geschütz feuerten die Deutschen auf die aus Scheidental anrückenden Amerikaner. Ein Panzergeschoss der Amerikaner zerstörte den schönen Turm am Bahnhof. Eine Kugel schlug im Schlafzimmerschrank des Bahnhofsvorstandes ein. Viele Granaten deckten die deutschen Geschützstellungen zu. Ein Landser verlor sein Leben).

Am Bahnhof sprengten die Deutschen ihr Geschütz und flohen Richtung Langenelz. Von den Waldrändern feuerten sie zunächst zurück, immer noch verfolgt vom Feuer der amerikanischen Panzergeschütze. Ein Glück, dass das Gefecht ohne Fliegerunterstützung geführt wurde!

Da, einige Augenblicke Ruhe, und dann ein Brausen wie von vielen feindlichen Flugzeugmotoren. Vorsichtig bewegte ich mich aus dem Keller und streckte den Kopf zum Haustor hinaus. Da – es war genau 1.25 Uhr nachmittags – kam der erste amerikanische Panzerungetüm vor mir in Sicht.

Aus den Fenstern der Ruinen des gegenüberliegenden Gasthauses „Zur Rose“ wird ein weißes Tuch schnell herausgehängt, andere folgen. Die Straßen sind im Nu mit Menschen besetzt, die mit weißen Tüchern winken. Ich entdecke zufällig ein Wäschestück, ein weißes Handtuch in meiner Manteltasche. Auf der anderen Seite der Straße gegenüber dem Rathaus sehe ich in der ersten Reihe meinen Bekannten aus Leibeskräften mit einem weißen Tuch winken.

„Wie geht es der Tante?“ schreie ich hinüber. „Gut, sie ist im Keller“ tönt`s herüber. Ich bin befreit von dem Alpdruck um meine Frau und lasse nun das Ereignis vor mir auf mich wirken. Anm.: Glücklicherweise gab es keine Personenschäden. Nur eine evakuierte Frau erhielt einen Bauchschuss.

Der Heimat- und Verkehrsverein Mudau besucht am Freitag, den 04. April, um 18 Uhr, bei einer Führung die betreffenden Stellen des Flugzeugangriffs und Einmarsches. Treffpunkt ist am Rathaus.

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