Neues Landratsamt hat jüdische Wurzeln

Leopold Blum hat ab 1888 zunächst in Hochhausen, dann in Mosbach auf dem Gelände des ehemaligen Postgebäudes und künftigen Hauptsitzes des Landratsamtes und später auch noch in Lohrbach eine blühende Zigarrenfabrikation aufgebaut; einen Eindruck davon geben die Abbildungen auf seinem Briefpapier. (Bild: Else Ernst, Lohrbach, Tannenhof)

Mosbach. Nach wie vor sind die Bauarbeiter am neuen Hauptgebäude des Landratsamtes, der ehemaligen Post, zugange (NZ berichtete). Insbesondere im Außenbereich haben sich die Arbeiten aufgrund der anhaltend schlechten Witterung verzögert. Was den Umzugsplänen aber keinen Abbruch tut: Ab Mitte April soll das völlig neugestaltete Haus im markanten Rot, das einen betont kundenorientiert gestalteten Eingangsbereich mit Behindertensprechzimmer erhalten wird, bezogen werden.

Der völlig entkernte, 1978 errichtete „moderne“ Anbau des alten Postamts (Baujahr 1931), in dem künftig auch Landrat Dr. Achim Brötel und der Erste Landesbeamte Martin Wuttke ihre Büroräume haben werden, steht auf historischem Grund und ist besonders bedeutsam, weil hier ehemals eine jüdische Familie inmitten einer ganz überwiegend christlichen Gemeinschaft – der Anteil der jüdischen Bevölkerung lag in Mosbach damals bei nur rund drei Prozent – ganz selbstverständlich gelebt, gearbeitet und ihren Arbeitern Lohn und Brot gegeben hat. Die Rede ist von Leopold Blum, dem Besitzer einer einst blühenden Zigarrenfabrik. Dessen Wohnhaus und Kontor standen auf eben diesem Gelände und wurden erst 1978 abgerissen, um dem Postanbau Platz zu machen. Das heutige Landratsamtsgebäude in der Scheffelstraße 1 diente dem Fabrikant als Tabaklager.

Leopold Blum, geboren 1854 in Hochhausen am Neckar, errichtete 1888 in seinem Heimatort eine Zigarrenfabrik. Die Geschäfte liefen so gut, dass Blum nach Mosbach übersiedelte und dort in der Neckarelzer Straße den Hauptsitz seines Betriebes samt Wohnhaus errichtete. Hochhausen blieb als Filiale bis 1931 erhalten, eine weitere in Lohrbach kam 1907 dazu. Allein in Lohrbach waren zeitweise über 100 Menschen beschäftigt.

Mit seiner Frau Rosa hatte der Fabrikant drei Töchter: Ida, Lina und Anna. Lina verheiratete sich mit Adolf Kohlmann, der ab 1928 allein die Geschicke der Zigarrenfabrik leitete. Da hatte sich der Seniorchef, der wohl aufgrund eines Schlaganfalls an Lähmungen litt, schon lange aus dem Geschäft zurückgezogen. Die aufkommenden Verfolgung und Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung ab 1933 erlebte er noch, die systematische Verfolgung, deren Beginn mit der Reichspogromnacht vom 9.  auf den 10. November 1938 gleich gesetzt wird, allerdings nicht mehr: Der Witwer starb eine gute Woche zuvor am 1. November 1938. Da war auch sein Schwiegersohn schon nicht mehr im Besitz des Familienerbes. Im Sommer 1938 musste Adolf Kohlmann dem Druck auf jüdische Geschäftsleute nachgeben. Er verkaufte die Fabrik weit unter Preis an den Germersheimer Zigarrenfabrikanten Bumiller – einen „Arier“ im Sprachgebrauch der Nazis.

Die Familie Kohlmann emigrierte noch im Dezember des gleichen Jahres über England nach Amerika. Der neue Besitzer zahlte im Übrigen 1950 im Rahmen eines Vergleichs noch einmal mehr als das Doppelte des ursprünglichen Kaufpreises an Kohlmann, um einem entsprechendem Gerichtsverfahren aus dem Weg zu gehen – ein sicheres Indiz für die schamlose Ausnutzung der Notlage der jüdischen Bevölkerung im Rahmen der sogenannten „Arisierung“.

Ida, eine in Pforzheim verheiratete Schwester Linas, wanderte ebenfalls nach Amerika aus. Allerdings erst nach dem Krieg, zuvor hatte sie die Hölle im Lager von Gurs in Südfrankreich und in anderen Konzentrationslagern überlebt. Die dritte Tochter, Anna, wurde 1942 in Auschwitz ermordet.

Wie selbstverständlich das Zusammenleben von Juden und Christen war, zeigt eine in „Unser Land 2010“ veröffentliche Geschichte von Else Ernst, in der diese von ihrer Mutter Laura Neureuther geb. Ihrig erzählt. Die Lohrbacherin war von 1925 bis 1929 als Haushaltshilfe im Fabrikantenhaushalt Blum in Mosbach beschäftigt und hatte es dort „sehr gut getroffen“. Sie pflegte den gelähmten Leopold Blum, schob ihn am Sabbat im Rollstuhl in die Synagoge, lernte koscher kochen und erhielt im Gegenzug eine gerechte Entlohnung, großzügige Geschenke und nicht zuletzt ein hervorragendes Dienstzeugnis für „vorbildlichen Fleiß, Sauberkeit und strenge Ehrlichkeit“.

Um die Geschichte der Zigarrenfabrik Blum nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, wird im Eingangsbereich des neuen Hauptgebäudes des Landratsamtes eine Gedenktafel angebracht werden. Ein großer Tag der offenen Tür im gesamten Landratsamt ist für Sonntag, 30. Juni geplant. Bis dahin berichtet NOKZEIT gemeinsam mit der Pressestelle des Landratsamts in loser Folge über die Geschichte des ehemaligen Postgebäudes und weitere Besonderheiten im Zusammenhang mit dem Neubau berichten.

Leopold Blum mit Laura Ihrig

Die Lohrbacherin Laura Neureuther geb. Ihrig arbeitet vier Jahre lang zur beiderseitigen vollsten Zufriedenheit im Mosbacher Fabrikantenhaushalt Blum. Unter anderem pflegte sie den jüdischen Seniorchef – ein Beispiel für das selbstverständliche und freundliche Zusammenleben von Christen und Juden in der Zeit vor 1933. (Bild: Else Ernst, Lohrbach, Tannenhof)

Umwelt

Von Interesse