
(Archivbild: pm)
BIGMÜG bezieht Stellung zu den Aussagen von AWN-Geschäftsführer Dr. Mathias Ginter
Buchen. (pm) Im Bürgerdialog der Bürgerinitiative BIGMÜG äußerte sich auch der Geschäftsführer der AWN, Dr. Mathias Ginter, zur Thematik. Hintergrund ist die geplante Annahme von freigemessenem Bauschutt aus dem Rückbau des Kernkraftwerks Philippsburg und der Kerntechnischen Entsorgung Karlsruhe (kurz KTE) auf der hiesigen Deponie Sansenhecken (NZ berichtete).
Dabei stellte Ginter die wesentlichen Positionen des Ökoinstituts dar. BIGMÜG verweist darauf, dass es in Fachkreisen dazu durchaus auch andere Positionen gibt. Besonders kritisch wird in diesem Zusammenhang gesehen, dass bisherige Zusagen durch Landrat Dr. Achim Brötel bei der aktuellen Entscheidung nicht mehr zählen. Auch die Nichteinbindung von Kreistag, Gemeinderat und Bürgern wird angesichts der Tragweite der Entscheidung kritisch gesehen.
Zu den Argumenten von AWN-Geschäftsführer Ginter im Einzelnen:
1. „Die Messverfahren bei der Freimessung entsprechen aktuellen Verordnungen.“
Diese Verordnungen sorgen nicht für ausreichend Sicherheit, so BIGMÜG. Beim Messverfahren zur Freimessung kann mit den Messgeräten nur die von einigen Radionukliden ausgehende Gammastrahlung gemessen werden. Andere Radionuklide, v.a. Alpha-, und Betastrahler, Neutronenstrahlung oder solche mit geringer Emission von Gammastrahlen müssen zuvor mit speziellen Methoden bestimmt werden. Hierbei können aber nur mehr oder weniger repräsentative Messungen von Teilen des radioaktiven Abfalls (Stichproben) untersucht werden.
2. „Das 10-Mikrosievert-Konzept sorgt für Sicherheit. Das freigemessene Material wird zu normalem Bauschutt.“
Das 10-Mikrosievert-Konzept, das beim Rückbau von Kernkraftwerken angewendet wird, steht seit Jahren in der Kritik, so BIGMÜG. Der Vorwurf: Gesundheitsrisiken werden unterschätzt. Der Umweltverband BUND und Strahlenschutzexperten argumentieren, dass es keine Strahlendosis ohne Gesundheitsrisiko gibt. Selbst geringe Dosen erhöhen das Risiko für Krankheiten wie Krebs.
Und: Die Berechnungen, die dem Konzept zugrunde liegen, basieren auf Modellen mit vielen Annahmen. Diese Modelle werden von Fachleuten als ungenau und unzureichend kritisiert, da sie nicht alle relevanten Faktoren, wie die Wirkung bestimmter Radionuklide (z. B. Tritium und Strontium), berücksichtigen. Zudem kann beim gleichzeitigen Rückbau mehrerer Anlagen die Strahlenbelastung für die Bevölkerung in der Summe ansteigen.
Deshalb fordern Experten wesentlich strengere Grenzwerte und eine Überprüfung der zugrunde liegenden Modelle, um die Sicherheit von Mensch und Umwelt besser zu gewährleisten.
3 „Die Bevölkerung wird keinerlei zusätzlicher Strahlung ausgesetzt.“
Hier kann eine zusätzliche Belastung der Bevölkerung nach Auffassung von BIGMÜG nicht ausgeschlossen werden. Denn: Bei der Messung zur Freigabe wird aus einzelnen Proben auf ganze Chargen von Abfallmaterial geschlossen. Genau hier ist ein Schwachpunkt des Konzeptes. So zeigte ein Gutachten zur Deponierung freigegebener Abfälle aus dem AKW Esenshamm (Unterweser) in der Deponie Käseburg, dass es Abweichungen bis zum Faktor 1000 von der errechneten Dosis geben kann. Hinzu kommt, dass bereits seit Jahrzehnten radioaktive Abfälle auf Deponien eingebaut werden, ohne dass eine Kontrolle der Sickerwässer auf radioaktive Stoffe erfolgt. Das gilt auch für Sansenhecken.
4. „Auch die AWN kann rechtlich dazu verpflichtet werden, freigemessenen Bauschutt aus dem Rückbau in anderen Landkreisen Baden-Württembergs anzunehmen.“
Noch im Jahre 2019 wurde BIGMÜG und den Bürgern versichert, dass ausschließlich Müll aus dem Rückbau des KKW Obrigheim nach Buchen kommen wird. Bereits 2022 änderten Landrat und AWN dann diese Einschätzung. Bei einem „Notstand“, der den Rückbauprozess ins Stocken bringt, könnte auch ein anderer Landkreis zur Aufnahme gezwungen werden. Offenbar laufen dazu bereits Gerichtsverfahren, weil andere Landkreise sich wehren. Nicht so im NOK. Hier geht man den entgegengesetzten Weg, indem man sich aktiv um das strittige Material bewirbt. „Den Schmerz“, so Bürgermeister Burger, habe man sich aber „finanziell versüßen lassen“. Eine Formulierung, die angesichts des Materials, um das es geht, makaber erscheint.
5. „Zuweisungen aus anderen Bundesländern drohen nicht.“
„Zuweisungen aus anderen Landkreisen drohen nicht“ – so hieß es noch 2017. Heute reden wir über Material aus anderen Landkreisen Baden-Württembergs. BIGMÜG fürchtet an dieser Stelle weniger, dass es auch Zuweisungen aus dem gesamten Bundesgebiet geben könnte, als dass man sich bei der AWN angesichts lukrativer Preise aktiv um weiteres Material aus anderen Rückbauprojekten bemüht. Eine lapidare Information in nichtöffentlicher Sitzung an Kreistag und Gemeinderat sollten auch dann wieder genügen. Und die Bürger werden es dann wohl auch wieder schlucken – so das Kalkül des Landratsamts. Ein Szenario, das nach Ansicht von BIGMÜG nicht unwahrscheinlich ist.
6. „Es ist unklar, welche Mengen in Buchen ankommen werden, ob überhaupt Material ankommen wird.“
An dieser Stelle wird es tatsächlich undurchsichtig. Dem Bürger wird suggeriert, dass eine gerichtliche Zwangszuweisung droht. Gleichzeitig konnte man sich auf einen Preis für die Entsorgung einigen, der sehr lukrativ für den hiesigen Landkreis ist. Und vor diesem Hintergrund verkündet AWN-Geschäftsführer Ginter nun, dass es generell noch unsicher ist, ob überhaupt Material aus Philippsburg oder Karlsruhe nach Buchen kommt. Hier reibt man sich tatsächlich ungläubig die Augen und fragt sich, welche Strategie dahintersteht. Vor allem aber wird man als unbeteiligter Bürger eines: Misstraurisch!!
7. „Alle zuständigen Gremien wurden in den Entscheidungsprozess eingebunden. Dieser war transparent.“
Die Entscheidung trafen ausschließlich Landrat und AWN. Kreistag und Gemeinderat wurden lediglich informiert, waren aber zur Verschwiegenheit verpflichtet. Das ist möglicherweise rechtlich korrekt, politisch aber äußerst fraglich. Gerade in einer Zeit, wo das Misstrauen vieler Bürger gegenüber der etablierten Politik wächst, spielt dieser Stil den Rechtspopulisten voll in die Karten. Auch deswegen beharrt BIGMÜG darauf: Bei Fragen von einer solchen Tragweite müssen die Bürger direkt eingebunden werden, etwa in einer Bürgeranhörung, in der Einwände vorgebracht werden können.
8. Was schlägt BIGMÜG vor?
Aus Sicht von BIGMÜG muss dringend Transparenz in den Prozess gebracht werden – und zwar von Anfang an. Dazu muss die bereits getroffene Entscheidung rückgängig werden. Anschließend muss es dem Bürger ermöglicht werden, sich ein objektives Bild zu machen. BIGMÜG schlägt dazu als ersten Schritt eine öffentliche Podiumsdiskussion vor, bei der Vertreter von AWN und Ökoinstituts genauso im Podium sitzen, wie Fachleute, die das Freimessungskonzept kritisch hinterfragen. In einem nächsten Schritt wäre eine Bürgeranhörung das geeignete Mittel, bevor die Bedingungen für die Anlieferung behördlich festgelegt werden.
Um diese Forderungen durchzusetzen, braucht es die Unterstützung vieler. Darauf hofft man nun bei BIGMÜG (Kontakt: Mail: bigmueg.bch@gmail.com; Facebook/Instagram: @BIGMUEG).